Epsilon
gewesen, einschließlich seines vorgetäuschten Verschwindens nach der missglückten Kontaktaufnahme, das als eine Art Bestrafung Susans gedacht war. Ihre Erleichterung, nachdem sie festgestellt hatte, dass er gesund und munter war, war in seinen Augen ein Anfang gewesen: Er hatte geglaubt, ihre Einstellung hätte sich damit wirklich zu verändern begonnen. Inzwischen war er unsicher, ob er sich nicht getäuscht hatte. Er befürchtete sogar, dass seine Tochter ihn durchschaut hatte und nun als »den Feind« betrachtete.
Natürlich irrte sie sich. Er würde niemals ihr Feind sein. Niemals! Wenn sie nur wüsste, was er alles auf sich genommen hatte – und noch immer auf sich nehmen musste – , um sie zu beschützen!
Amery wählte die Notrufnummer, die er sich eingeprägt hatte. Obwohl es Samstag war, hatte er den Mann, den er sprechen wollte, innerhalb weniger Sekunden am Apparat.
»Es geht um die Flucht«, sagte Amery. Er wollte vorschlagen, Schiller rund um die Uhr überwachen zu lassen und sein Telefon abzuhören. Es bestand zumindest die entfernte Chance, dass Susan, falls sie wirklich in die Sache verwickelt war, Charlie geraten hatte, mit Schiller in Kontakt zu treten.
»Welche Flucht?«
»Epsilon.«
Ein Mitglied des Komitees, offensichtlich humanistisch gebildet, hatte diesen Codenamen ausgesucht, weil Charlie technisch gesehen die fünfte Generation der Mutanten war – und die erste, die auch nur ansatzweise Erfolg versprach. Nicht dass der Name »Charlie Monk« irgendjemandem, der ihn zufällig hörte, etwas gesagt hätte. Und außerdem sorgte mit Sicherheit eine ausgefeilte mikroelektronische Schaltung dafür, dass dieser Anruf, auch wenn er von einem Handy aus getätigt wurde, abhörsicher verschlüsselt wurde.
»Darüber hat man mich nicht informiert.« Die Worte wirkten abgehackt und wohlüberlegt. Ein leises Misstrauen lag darin.
Amery spürte, wie ihm ein kalter Schauder den Rücken hinunterlief. Das konnte nicht sein!
»Ich verstehe nicht.«
»Wo sind Sie?«
»Tara«, antwortete Amery. Noch so ein Codename, diesmal offensichtlich von einem Film-Freak gewählt. »Everest hat mir vor vierzig Minuten mitgeteilt, dass er Sie informiert habe und Sie ihm wiederum Anweisungen gegeben hätten, sofort hierher zu fliegen.«
Everest war Wests Codename – seine eigene Wahl, zumindest hatte Amery das immer angenommen.
»Niemand, weder Everest noch sonst jemand, hat einen Bericht über Epsilon erstattet.«
Amery schwieg, seine Gedanken rasten. Plötzlich fiel jedes Puzzleteil an seinen Platz und offenbarte ein Muster von bestechender Logik.
»Sind Sie noch da?«, fragte die Stimme.
»Ich muss etwas überprüfen«, erwiderte Amery. »Ich rufe Sie zurück.«
Er unterbrach die Verbindung und wählte augenblicklich eine neue Nummer. Sekunden später hatte er den John-Wayne-Airport am Apparat und die Bestätigung, dass West vor zwanzig Minuten gestartet war, offensichtlich in großer Eile und nur mit einem Piloten an Bord statt der üblichen zwei.
Abgesehen davon befand sich nur noch ein anderer Mann in Wests Begleitung – jemand, dessen Namen man Amery nicht nennen konnte.
Doch das war auch nicht nötig.
51
»Aber warum müssen wir denn weg?«
Christophers Stimme nahm einen jammernden Tonfall an.
»Schatz, ich habe dir doch bereits gesagt, dass ich es nicht weiß.«
»Wo fahren wir denn hin?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Fahren wir nach Hause?«
»Noch nicht. Bald.«
Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen: »bald«. Sie hätte es nicht tun dürfen. Susan hatte sich nie für abergläubisch gehalten, doch im Augenblick wollte sie das Schicksal lieber nicht herausfordern.
»Kommen wir hierher zurück?«
»Auch das weiß ich nicht. Lass uns einfach packen und sehen, was passiert, wie Großvater gesagt hat. Vielleicht macht es Spaß.«
Spaß? Um die ganze unerträgliche Situation zu beenden, hatte sie alles auf eine Karte gesetzt: Charlie Monk. Wenn er scheiterte, konnte sie nur noch darauf hoffen, dass man ihr wenigstens keine Beteiligung an der Sache nachweisen konnte. Nicht dass die Foundation einen Beweis gebraucht hätte: Das war schließlich kein ordentlicher Gerichtshof; der Verdacht alleine würde ausreichen.
Aber was konnten sie Susan schon antun – sie umbringen?
Sie hatte bereits entschieden, dass alles besser war, als tatenlos auf den Zeitpunkt zu warten, da sie nicht mehr gebraucht und damit überflüssig wurde. Nein, etwas anderes stand auf dem Spiel: Christophers
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