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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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verschwunden war, und drehte sich dann zur Scheune um. Der Zaun hatte ein kleines Tor, das sie vorsichtig öffnete, ohne das Fenster, hinter dem sie ihren Vater gesehen hatte, aus den Augen zu lassen. Sie entdeckte ihn jedoch erst wieder, als sie sehr viel näher heran war, und da stand er weiter entfernt, im Gegenlicht, das durch die geöffneten Scheunentore in der gegenüberliegenden Wand fiel. Er redete noch immer, gab Befehle an Menschen weiter, die Susan nicht sehen konnte. Sie duckte sich, um unbemerkt am Fenster vorbeizukommen, und schlich sich zur nächsten Ecke. Ihr Herz schlug wild, und sie bemerkte, wie sie sich so heftig auf die Unterlippe biss, dass diese beinahe blutete. Es war eine Angewohnheit aus Kindertagen, wenn sie sich unter Druck gefühlt oder befürchtet hatte, bei etwas Verbotenem erwischt zu werden.
    Doch diesmal war nicht sie es, die ertappt wurde. Sie fürchtete sich vielmehr vor dem, was sie gleich herausfinden würde. Und ihre größte Furcht bestand darin, dass sie es vielleicht sogar schon wusste.
    Susan konnte jetzt die Stimme ihres Vaters hören. Sie blieb stehen und lauschte.
    »Denken Sie daran – seine Reaktionszeit ist nur halb so lang wie Ihre. Sobald er einmal auf freiem Gelände ist, ist er am gefährlichsten.«
    Eine zweite Person sprach, doch Susan konnte nichts verstehen. Es musste eine Frage gewesen sein, denn die Antwort ihres Vaters war so klar und deutlich zu vernehmen wie zuvor: »Nein, Sie warten, bis ich Ihnen das Zeichen gebe. Haben Sie alles verstanden?«
    Zustimmendes Gemurmel erklang. Dann wieder die Stimme ihres Vaters, fest und bestimmt, die Stimme eines Mannes, der die Befehlsgewalt hatte: »Okay, jeder auf seinen Posten! Sie landen in zwanzig Minuten.«
    Susan zog sich hinter die Ecke zurück, sodass die Männer sie nicht entdeckten, als sie ausschwärmten. Sie kannte sie alle, hatte im Laufe der Zeit mit den meisten von ihnen gesprochen. Sie waren für die unterschiedlichsten Arbeiten auf der Ranch verantwortlich – für Chauffeur-Dienste, die Pflege der Pferde und des Gartens, die Wartung des Pools und so weiter. Auch Michael gehörte zu ihnen. Und Joe, der Hubschrauberpilot. Insgesamt waren es sieben. Jeder von ihnen trug eine kompakte, todverheißende Maschinenpistole bei sich.
    Kurz darauf waren alle verschwunden. Susan hörte ein Auto starten. Es klang wie der Kombi, aber sie konnte ihn nicht sehen. Sie konnte auch ihren Vater nicht sehen. Nach einer Weile fragte sie sich, ob er noch immer in der Scheune war oder diese durch eine andere Tür verlassen hatte. Dann hörte sie seine Schritte. Es waren zweifellos seine, und sie näherten sich ihr. Gleich würde ihr Vater um die Ecke biegen und ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.
    Susan wollte davonlaufen, damit er nicht entdeckte, dass sie ihm nachspioniert hatte. Sie fühlte sich schuldig. Es kam ihr vor, als liege der Fehler ganz alleine bei ihr. Sie hatte spioniert und ihren Vater belauscht – und war dafür bestraft worden, indem sie Dinge erfahren hatte, die sie zutiefst schmerzten. So erging es ungehorsamen kleinen Mädchen, die glaubten, alles besser zu wissen! So etwas endete stets mit Tränen, wie jetzt. Susan merkte, dass ihre Wangen feucht waren und dass sie schluchzte.
    Als Amery Hyde sie sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Sein Gesicht wurde aschfahl, und vor Schreck riss er den Mund weit auf. Susan versuchte etwas zu sagen, doch alles, was sie herausbrachte, war ein Wimmern, ein Zeichen der Schwäche, für das sie sich selbst hasste.
    Die unmittelbar darauf einsetzende Wut jedoch verstärkte ihre Entschlossenheit, die Sache nun durchzufechten. Sie war es sich selbst schuldig, Christopher und, das spürte sie deutlich, seltsamerweise auch ihrer verstorbenen Mutter. Sie alle waren von dem Mann betrogen worden, der da vor ihr stand. Ja, sie war es den anderen schuldig, in der kommenden Konfrontation die Stärkere zu sein, diejenige, die nicht nachgab, die auf ihrem Standpunkt beharrte, urteilte und richtete, nicht diejenige, die zurückwich und zum Opfer wurde.
    »Es stimmt also, was Charlie sagte«, begann sie, und ihre Stimme bebte vor Erregung.
    Er versuchte nicht einmal, es zu leugnen. Sein Mund öffnete und schloss sich ein paar Mal, und dann schien er die Worte zu finden, mit denen er sich, wie Susan annahm, zu verteidigen suchte.
    »Ich hatte keine Wahl«, sagte er. Seine Stimme klang hohl, ohne Resonanz. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Stimme, die gerade noch

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