Epsilon
würde Ika das gleiche Schicksal wie ihr drohen.
»Ika, es ist schon in Ordnung«, sagte sie schnell. Sie musste schreien, um sich in dem allgemeinen Durcheinander verständlich zu machen. »Ich werde mit ihnen gehen. Ich habe keine Angst.«
»Ich werde die Botschaft für Sie anrufen.«
»In Ordnung…«
Ika fügte noch etwas auf Russisch hinzu und übersetzte es anschließend für Susan: »Ich habe ihnen gesagt, sie sollen mich mitnehmen. Sie brauchen eine Dolmetscherin.«
Bevor Susan antworten konnte, packte der Mann, der in das Funkgerät gesprochen hatte, Ika von hinten an den Armen, drängte sie unsanft zu ihrem Fahrzeug, öffnete dessen Tür und stieß Ika hinein. Dann stieg er hinter das Lenkrad seines eigenen Jeeps, setzte ein kurzes Stück auf dem Weg zurück und preschte mit Vollgas in Richtung Tor.
Das, so würde Ika Lomova später erzählen, war das Letzte, was sie je von Susan Flemyng sah. Sie beobachtete noch durch den Zaun, wie der Jeep auf den Gebäudekomplex zuhielt, der das Zentrum der Anlage zu bilden schien, dann nach links abbog und kurz darauf zwischen zwei Häusern verschwand. Und mit ihm seine Insassen.
16
Der Raum, in den Susan geführt wurde, war leer bis auf eine Bank, die an einer der Wände angebracht war. Es handelte sich zweifellos um eine Arrestzelle, denn an der Innenseite der Tür gab es keine Klinke, und das einzige Fenster war vergittert und mit undurchsichtigem Glas versehen. Die verputzten Wände waren in einem fahlen Grün gestrichen und vollkommen nackt.
Susan blickte auf die Uhr und stellte fest, dass sie gut zehn Minuten in diesem Raum gesessen hatte, als sie hörte, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde und die Tür sich öffnete. Ein Wachposten forderte sie mit eindeutiger Geste auf, ihm zu folgen.
Er führte sie in ein Büro, das ein wenig, wenn auch nicht viel freundlicher wirkte als die Zelle, die sie gerade verlassen hatte. In einem Kamin brannte ein schwaches Kohlefeuer, an den Wänden hingen einige Bilder und Dokumente, möglicherweise Diplome. Es gab zwei unvergitterte Fenster, die sich zu einem Innenhof öffneten, der von den Gebäuden des Zentralkomplexes gebildet wurde. Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann, der die kläglichen Reste seines Haars sorgsam über seinen kahlen Schädel drapiert hatte, sein Anzug wirkte abgetragen. Er sah aus wie der Prototyp des kleinen Bürokraten, und er machte keinerlei Anstalten, aufzustehen, als Susan den Raum betrat. Ja, er blickte nicht einmal von dem Schriftstück auf, das er gerade studierte, wobei er hin und wieder eine Zeile mit seinem Kugelschreiber markierte, während er über die Bedeutung dessen, was er las, nachzugrübeln schien.
Der Wachposten, der Susan begleitet hatte, zog sich diskret zurück und schloss die Tür hinter sich. Susan stand einige Augenblicke abwartend da, bevor sie schließlich das Schweigen brach.
»Ich hoffe, Sie sprechen Englisch«, sagte sie und gab sich keine Mühe, ihre Missbilligung zu verbergen, die sie angesichts dieses herablassenden Benehmens empfand. »Denn Sie scheinen mir ein widerwärtiger kleiner Mann zu sein, und falls Sie mich nicht verstehen können, würde ich nur ungern meinen Atem an Sie verschwenden.«
Er ließ durch nichts erkennen, ob er sie verstanden hatte, sondern fuhr unbeirrt fort, mit seinem Stift Zeilen zu markieren. Schließlich drehte er das Blatt um und begann die andere Seite zu lesen.
»Ich verlange eine Erklärung«, fuhr Susan fort. »Ich weiß nicht, welche berufliche Laufbahn Sie bisher hinter sich haben, aber Sie haben offensichtlich keinen blassen Schimmer davon, welchen Arger Sie bekommen können, wenn Sie eine amerikanische Staatsbürgerin auf diese Weise ihrer Freiheit berauben.« Der Mann atmete lang und tief ein, setzte sich zurück und sah schließlich zu ihr auf. Seine stumpfen Gesichtszüge verzogen sich zu einem leicht herablassenden Lächeln, als wolle er ihr demonstrieren, dass ihre Versuche, sarkastisch zu sein, bei ihm höchstens Belustigung hervorriefen.
»Erklären Sie mir bitte Ihr Interesse an dem, was wir hier tun, Dr. Flemyng«, sagte er in perfektem, beinahe akzentfreiem Englisch.
»Ich nehme an, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich setze«, antwortete Susan. »Offensichtlich haben Sie keine Manieren, sonst hätten Sie mir längst einen Platz angeboten.«
Er nickte leicht und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, sie solle sich als sein Gast fühlen, ohne jedoch Anstalten zu machen, sich höflich zu erheben.
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