Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
Vom Netzwerk:
Stirn bieten und die man praktisch an allen Fronten bekämpfen musste. Aus diesem Grund fand er es nützlich, auf sicherem Wege Post empfangen zu können, die besser niemand anderes zu Gesicht bekam, zumindest niemand aus dieser Seilschaft von Politikern, Militärs und Industriellen, der gegenüber er so kritisch eingestellt war – was also ungefähr die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung mit einschloss.
    Diese neue Briefkastenadresse besaß Tom erst seit sechs Wochen, und er erwartete dort nur Post von einer Person. Er hatte die Adresse und seine Chiffre Susan Flemyng gegeben, bevor sie nach Russland abgeflogen war. Nur für den Fall der Fälle. Seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört. Tom hatte nach einigen Telefonaten herausgefunden, dass Susan und ihr Sohn auf Reisen waren, allerdings wusste niemand wohin und für wie lange. Er hatte daraufhin versucht, mit ihrem Vater in Washington Kontakt aufzunehmen. Doch auch dieser war seltsamerweise im Augenblick schwer zu erreichen.
    Also sah Tom Schiller alle zwei, drei Tage unter dieser Adresse nach – nur für den Fall der Fälle. Wie gewöhnlich zog er den Schlüssel aus der Tasche und ging zu seinem Fach hinüber, das sich in einer Wand voller identischer Briefkästen befand. Rechts von ihm brütete ein Typ in einem teuren Anzug über dem Inhalt eines dicken schwarzen Umschlags, der nur für seine Augen bestimmt war. Links von ihm steckte eine ganz gewöhnlich aussehende Frau mittleren Alters einen handgeschriebenen Brief in ihre Handtasche, verschloss ihren Briefkasten und verschwand eilig. In der Ecke riss ein krank aussehendes Mädchen im Teenager-Alter einen Umschlag auf, warf diesen und eine Nachricht, die darin steckte, in einen Papierkorb und stopfte sich hastig zwei oder drei Zehn-Dollar-Scheine hinter den Bund ihrer Hose.
    Tom wusste nicht, ob er hoffen sollte, etwas in seinem Briefkasten zu finden oder nicht. Eine Nachricht von Susan konnte eine gute Story bedeuten; es konnte auch bedeuten, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Im Großen und Ganzen hätte er es vorgezogen, wenn sie ihn angerufen und ihm mitgeteilt hätte, dass alles in Ordnung sei, ja, vielleicht sogar, dass sie die ganze Sache auf sich beruhen ließ.
    Die Postkarte, die er vorfand, zeigte das idyllische Bild eines Orangenhains. Auf der Rückseite standen nur zwei handgeschriebene Zeilen. Die erste nannte Datum, Uhrzeit und Nummer eines Fluges vom National Airport Washington, DC, nach Great Falls in Montana. Die zweite Zeile lautete: »Tragen Sie eine rote Krawatte.«
37
    Nichts und niemand hinderte Charlie daran, sich mit den anderen Schimpansen in die Schlafquartiere zurückzuziehen. Und nichts und niemand hinderte ihn daran, am Ende des Tages in seinen eigenen Käfig zu gehen, wenn er es vorzog. Die Wahl schien ganz alleine ihm überlassen.
    Allem Anschein nach hätten die anderen Schimpansen durchaus Charlies Käfig betreten und dort ihr Nachtlager aufschlagen können. Aber das schien niemand zu wollen. Vielleicht ist es ein Zeichen des Respekts, dachte sich Charlie. Vielleicht spürten sie aber auch, dass etwas Fremdes und Seltsames an ihm war, etwas, das ihn von den anderen unterschied. Vielleicht zogen sie es vor, dass er allein in seinem Käfig schlief.
    Charlie überdachte all diese Möglichkeiten, doch am Ende des Tages war er derart ermüdet, dass zusammenhängende Gedankengänge immer schwerer wurden. Es war eine mentale, keine körperliche Ermüdung. Alles in seinem Kopf drehte sich; es gab keinen Fixpunkt mehr, an dem er sich orientieren konnte. Charlie aß wie am Tag zuvor von der Platte, die durch den Schlitz in seinen Käfig geschoben wurde. Kurz darauf musste Kathy den Raum betreten haben. Charlie sah auf und erblickte sie, ein wenig entfernt stehend, wie sie ihn beobachtete. Der Teil des Laboratoriums, der hinter ihr sichtbar war, war beinahe menschenleer; ein paar Leute waren mit Aufräumen beschäftigt. Wie für Charlie ging auch für sie der Tag zu Ende.
    Als sich ihre Blicke trafen, zeigte Kathy keinerlei Reaktion, sondern fuhr nur fort, ihn anzustarren. Es war, als schiene sie mit ihrem Blick seine Gedanken ergründen zu wollen. »Du verstehst, was ich sage, nicht wahr?« Es war eine Feststellung, keine Frage, als hege sie keinen Zweifel. Charlie war überrascht, dass sie noch einen Beweis brauchte.
    »Wenn du mich verstehen kannst, falte die Hände vor deiner Brust.«
    Sie ließ die eigenen Arme bewegungslos herabhängen. Sie wollte sicher gehen, dachte

Weitere Kostenlose Bücher