Epsilon
falls überhaupt. Nicht zuletzt nahm außer den zum »Glauben« Konvertierten niemand ernst, was Schiller und seinesgleichen veröffentlichten. Noch zwei Monate zuvor hätte sie selbst jedes Gerede von geheimen Regierungsstellen und den entsprechenden Intrigen als paranoiden Unsinn abgetan. Jetzt wusste sie es besser. Was sie nicht wusste, war, wie weit sich das bedrohliche Krebsgeschwür nebulöser Gruppen und geheimer Mächte ausgebreitet hatte. Offensichtlich ging es bis in höchste Kreise, hatte aber vielleicht noch nicht überall Metastasen gebildet. Susan konnte sich nicht vorstellen, dass eine der wichtigen Tageszeitungen oder einer der bedeutenden Fernsehsender diese Story totschweigen würde, wenn es nur gelang, die entsprechenden Leute von ihrem Wahrheitsgehalt zu überzeugen. Dann würde die Öffentlichkeit sich ein Bild machen und entscheiden müssen, was sie von der Sache hielt. Susan zweifelte nicht daran, dass die Mehrheit ihre eigene Ablehnung, was dieses und jedes ähnliche Projekt betraf, teilen würde.
Sie musste nur herausfinden, über welche Verbindungen die Pilgrim-Foundation verfügte. Wie sah das Machtgefüge aus, von dem die Stiftung nur ein Teil war? Niemand eignete sich so gut dazu, derartige Informationen auszugraben, wie Schiller und seine Truppe. Er würde die Bedeutung dessen, wonach er gefragt wurde, sofort erkennen, alleine weil sie, Susan, es war, die fragte, wenn auch nur indirekt durch ihren Vater. Doch das würde Schiller für eine Story noch nicht genügen, da er nicht ausreichend über die Hintergründe Bescheid wusste. Außerdem würde ihr Vater betonen, wie wichtig Diskretion in diesem Falle war, und Susan hatte von Anfang an gespürt, dass sie Schiller vertrauen konnte.
Das Telefon läutete, und Susan zuckte zusammen. Es war eine interne Anlage, eine Verbindung nach draußen gab es nicht, doch es war ungewöhnlich, dass jemand sie so früh am Morgen anrief. Beim zweiten Läuten hob sie ab. Es war West.
»Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Ihnen, während wir hier sprechen, ein Päckchen zugestellt wird. Sie werden es auf dem kleinen Tisch draußen vor der Tür vorfinden. Wenn Sie es geöffnet haben, werden Sie feststellen, wie dumm es war, die Freiheit, die wir Ihrem Vater zugestanden haben, zu missbrauchen. Ich hoffe, Sie werden in Zukunft zweimal darüber nachdenken, bevor…«
Mehr hörte Susan nicht mehr. Sie riss bereits die Tür auf und griff nach der kleinen, etwa fünf Quadratzentimeter großen Schachtel auf dem Tisch. Sie ähnelte einer Geschenkverpackung aus einem Juweliergeschäft, und als Susan sie öffnete, sah sie, dass sie tatsächlich einen Ring enthielt.
Es bestand kein Zweifel: Es war der Siegelring ihres Vaters.
39
Es war ein sonniger Tag. Charlie lag zusammengerollt auf einem Felsen und genoss die Wärme. Durch halb geschlossene Augen beobachtete er die Kameras und die Männer hinter den Observatoriumsfenstern. War ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihn gerichtet? Nur teilweise? Oder kaum?
Er kam schließlich zu dem Schluss, dass man ihm kein besonderes Interesse schenkte, jedenfalls nicht mehr als jedem anderen Mitglied der Gruppe. Natürlich war es möglich, dass sie ihm etwas vorspielten, um ihn zu täuschen und in Sicherheit zu wiegen. Doch wozu letztendlich? Es war eine Hypothese, die er nur durch einen praktischen Versuch testen konnte, und genau das hatte Charlie vor.
Er begann sich zu regen, streckte sich, gähnte und blickte sich mit genau kalkulierter Beiläufigkeit um. Um ihn herum trug sich nichts Besonderes zu: keine Kämpfe, keine Streitigkeiten, keine Eifersuchtsszenen, kein offenes Werben um Männchen oder Weibchen. Hier und da hatten sich kleine Gruppen zusammengefunden, einige spielten mit den Kindern, andere lausten sich den Pelz. Charlie entdeckte ein Pärchen, das getrennt auf die Lichtung zurückkehrte, aber ganz offensichtlich von derselben Stelle zwischen den Bäumen kam. Es war eins der Männchen, mit dem er gekämpft hatte, und das Weibchen, das er am Tag zuvor besprungen hatte. Charlie wandte sich ab, ignorierte den Blick, den das Männchen ihm zuwarf, und tat so, als hätte er nichts gesehen.
Charlie setzte sich in Bewegung und schlenderte scheinbar ziellos umher. Er schlug keinen geraden Weg ein, sondern einen Zickzackkurs, der ihn hierhin und dorthin führte, bis er eine schattige Stelle gefunden hatte und sich niederließ. Ein Blick zurück auf die verschiedenen Kameras hoch in den Bäumen zeigte ihm, dass –
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