ePub: Ashes, Ashes
früheres Leben.
»Nein, das will ich nicht. Aber du sollst mir vertrauen.«
»Scheiße!«, murmelte Lucy und wischte sich die Nase am Ärmel ab. Sie sah zu Aidan, sah sein erschrecktes Gesicht. Im Geiste gab Lucy sich einen Ruck und hob ihr Messer.
»Bist du okay?«, fragte Aidan.
»Ja.« Lucy richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Schwester. »Wenn Sie uns wirklich helfen wollen, dann bringen Sie uns auf der Stelle hier heraus.«
»Das werde ich tun«, antwortete Mrs. Reynolds, ohne zu zögern.
Sie schlichen die Treppe hinab, wobei ihre Stiefel hörbare Tritte auf dem harten Fußboden verursachten. Mrs. Reynolds, in ihren lautlosen Turnschuhen, führte die Jugendlichen schnell und mit sicheren Schritten durch das Halbdunkel. Lucy warf einen Blick über das Geländer. Das Foyer im untersten Stockwerk lag in völliger Dunkelheit, wie ein abgrundtiefes Loch.
Sie gelangten ein Stockwerk tiefer, dann zwei. Lucy konnte kaum noch die Umrisse der Türen ausmachen, die zu unbekannten Räumen führten. Kein Lichtstrahl fiel unter den Türritzen hindurch. Sie fragte sich, ob die übrigen Sweeper schliefen. Die Klimaanlage hatte sich wieder ausgeschaltet und der Generator schwieg. Alles war still – bis auf ihren eigenen stoßweisen Atem und das leise Quietschen von Gummisohlen.
Allmählich gewöhnten sich Lucys Augen an die Dunkelheit. Die steile Treppe zeichnete sich besser ab. Lucy lief etwas schneller, während sie sich am Geländer festhielt, für den Fall dass sie stolperte. Aidan und Sammy folgten ihr.
Jetzt konnte Lucy die Tür des Haupteingangs erkennen. Sie bestand aus massivem Stahl mit einer Reihe blitzender Schlösser und Verriegelungen an der Seite und einer schweren Kette davor. Sie hätten misstrauisch sein sollen, als sie hierherkamen und der angebliche Notausgang von außen so einfach zu öffnen war; sie hätten bemerken müssen, dass es sich um eine Falle handelte! Leute, die ihre Haupteingänge derart sicherten, ließen ihre Seitentüren doch nicht einfach offen!
»Drückt euch rechts an die Wand, wenn ihr draußen seid«,flüsterte Mrs. Reynolds leise. »Die Flutlichter erhellen nur den Bereich unmittelbar vor dem Eingang. Wenn ihr am Rand bleibt, seid ihr praktisch unsichtbar.«
Lucy zögerte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Lauft! Lauft so schnell ihr könnt!«
Lucy rannte zur Tür. Sie hob die Hand, um die Kette zu lösen und den ersten der schweren Riegel beiseitezuschieben. Mrs. Reynolds, Schulter an Schulter mit Lucy, tippte einen Zahlencode in eine Tastatur. Ein rotes Licht wechselte zu grün. Lucy versuchte die entstellte Wange nicht aus nächster Nähe anzustarren. Sie nestelte an dem Riegel herum. Er war schwergängig, und sie brauchte beide Hände, um ihn zurückzuziehen. Wohin nur mit dem Messer? Sie wagte nicht, es abzulegen.
Als Erstes spürte sie einen kalten Luftzug im Rücken. Irgendwo im Inneren des Gebäudes war eine Tür geöffnet worden. Dann erklang aus der Dunkelheit hinter ihnen das Stampfen schwerer Schritte. Lucy wirbelte herum. Sie hielt sich ihre freie Hand an die Stirn, um ihre Augen zu schützen, falls das Licht plötzlich aufflammte. Dennoch war in dem Moment, als der Schalter umgelegt wurde, das Gleißen der Neonröhren blendend. Lucy blinzelte verzweifelt, um klar sehen zu können. Sammy war ein Stück zurückgeblieben und hatte sich die Kapuze bis zu seiner schwarzen Maske herabgezogen. Aidan hatte sich kerzengerade aufgerichtet. Auf der Suche nach einem Fluchtweg glitt sein Blick links und rechts – aber sie saßen in der Falle.
Aus dem Augenwinkel sah Lucy, wie Mrs. Reynolds aufAbstand zu ihnen ging. So viel zu ihrer Hilfe, dachte Lucy. Wir hätten sie bedrohen und als Geisel nehmen sollen . Sie presste sich gegen die Tür, fühlte die schweren Riegel an ihrem Rückgrat. Irgendwie mussten sie hier doch herauskommen! Das Foyer teilte sich in zwei Korridore auf, die rechts und links an der Treppe vorbei verliefen. Lucy wusste nicht, ob sie sich irgendwo wieder trafen oder in unterschiedliche Richtungen abbogen. Sie wusste nur, dass das Gebäude sehr groß und unübersichtlich war.
»Warum macht ihr so etwas?«, fragte Dr. Lessing mit ihrer ruhigen Stimme, die Hand auf dem Geländer. Ihr Haar war jetzt nicht mehr ordentlich in einem Zopf zusammengefasst, sondern hing offen auf ihre Schultern. Ihr Kittel war nicht zugeknöpft, so als hätte sie ihn gerade nur schnell übergezogen. An den Füßen trug sie blaue Slipper. Hinter ihr formierten
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