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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Treggiari
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trug normale Kleidung, Jeans und ein Shirt. Auf der einen Seite klemmte ihr Haar hinter ihrem Ohr, auf der anderen hing es lose herab und verdeckte die Seite ihres Gesichts.
    »Halten Sie Ihre Hände weiter so, dass wir sie sehen können«, sagte Sammy und seine Stimme klang etwas tiefer als sonst. Er hatte seine Sichel gezückt. Seine Hand zitterte.
    »Sie werden uns nicht aufhalten«, warnte Lucy. »Wenn Sie es versuchen ... bringen wir Sie um.« Sie sah zur Treppe, die zwischen ihnen lag. Sie überlegte, ob sie Kelly irgendwie ausschalten konnten, bevor sie die erste Stufe erreichte. »Wenn Sie auch nur einen Laut von sich geben, wird es Ihnen leidtun.« Sie hielt ihr abgebrochenes Messer in die Höhe und überhörte die leise Stimme in ihrem Kopf, die sich fragte,ob die Klinge wohl ausreichte, jemanden zu erstechen – und auch ihr Wille, es zu tun. Vielleicht dachte Kelly ja, dass ihre Hände nur vor unterdrücktem Zorn zitterten.
    »Alle Türen, die nach draußen führen, besitzen Schlösser mit Zahlencodes. Und um Mitternacht wird das ganze Haus einem Sicherheitscheck unterzogen. Ihr braucht Hilfe, um hier herauszukommen«, entgegnete die Frau. Irgendwie kam Lucy ihre Stimme bekannt vor. Sie durchforstete ihre Erinnerungen und zermarterte sich den Kopf, aber durch das Schlafmittel im Kaffee waren ihre Gedanken immer noch zu träge.
    »Wir wollen weg«, sagte Aidan. »Werden Sie uns dabei helfen?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Lucy.«
    Lucy zwang sich ein paar Schritte vorwärts und versuchte im schwachen Licht blinzelnd die Frau zu erkennen. »Wer sind Sie?«
    Kelly wandte Lucy ihr Gesicht zu. Ihr rechtes Auge war von transplantierter Haut umgeben, die unnatürlich rosa war – eine Farbe wie von einem Radiergummi. Die Pupille schimmerte milchig, und die Wange war übersät mit Vertiefungen und Narben, die von einem hautfarbenen Make-up überdeckt wurden.
    Die linke Hälfte von Kellys Gesicht war unversehrt und besaß glatte, helle Haut und ein strahlend blaues Auge. Das Baumwollshirt mit dem runden Halsausschnitt wirkte so adrett wie die weiße Uniform, in der Lucy die Frau zuletzt gesehen hatte. Nur das entstellte Gesicht erzählte, das in den Monaten, die seitdem vergangen waren, etwas geschehen war. Die Zeit schien rückwärts zu laufen. Im Geiste hörte Lucy die sanfte Stimme, mit der die Schwester sie auf den Einstich der Nadel vorbereitet hatte. Sie spürte, wie sie den Gummiriemen an ihrem Oberarm festzog, und roch den Pinienduft des Reinigungsmittels, das die Putzkolonne der Schule benutzte. Automatisch sah sie auf die Füße der Frau und erwartete, die vertrauten weißen Schwesternschuhe zu sehen. Aber sie waren durch graue Sportschuhe ersetzt worden.
    »Mrs. Reynolds!«, rief Lucy aus. »Ich fasse es nicht! Was ist mit Ihnen passiert?«
    »Wer ist das?«, erkundigte sich Aidan und trat neben Lucy. Er war noch immer nicht ganz sicher auf den Beinen. Sammy, der einen Schritt hinter ihm stand, fasste ihn am Ellbogen.
    »Das ist unsere Schulkrankenschwester.«
    Der Generator nahm sein träges Grollen wieder auf. Eisige Luft blies aus den Ventilatoren. Lucy bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Vor Angst genauso wie vor Kälte , dachte sie.
    Mrs. Reynolds war noch näher gekommen. Sie stand den Jugendlichen nun gegenüber und sah sie mit ihrem gesunden Auge an.
    »Was ist geschehen?« Automatisch wanderte Lucys freie Hand – die Hand ohne Messer – an ihre Wange empor und fühlte die beruhigende Glätte ihrer eigenen Haut. Im selben Augenblick schämte sie sich dafür. Mrs. Reynolds Narben waren entsetzlich. Aus der Nähe konnte Lucy erkennen, dassdas rechte Auge der Schwester wie mit einem bläulichen Schleier beschlagen war. Es war blind.
    »Die Epidemie. Das persönliche Risiko, wenn man Kranke pflegt.«
    Lucys Brust verengte sich vor Mitleid. Es war furchtbar – dennoch musste sie sich die Umstände ins Bewusstsein rufen. Mrs. Reynolds befand sich an diesem Ort – und das machte sie zu ihrer Feindin. Lucy fasste wieder nach ihrem Messer.
    »Und was machen Sie hier?«
    »Ich arbeite hier«, antwortete Mrs. Reynolds.
    »Für Dr. Lessing?«
    »Die Sache ist nicht so einfach. Dr. Lessing ist ... sie ... sie hat mir das Leben gerettet. Jeder hier schuldet ihr irgendwie etwas. Ihre Arbeit ist sehr wichtig.«
    »Sind Sie zu mir gekommen, um mir zu sagen, ich soll aufgeben?« Zu ihrem Entsetzen musste Lucy feststellen, dass sie weinte. Die Begegnung mit der Schwester war eine schmerzhafte Erinnerung an ihr

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