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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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los. Die Panik schoss ihr wie Galle in den Mund. Der nasse Sand klebte an ihren Füßen, bremste ihr Tempo und drohte sie zu Fall zu bringen. Sie lief weiter, zwang ihre Knie höher hinauf. Zeit, sich hinzuhocken und die Schuhbänder zuzuknoten, hatte sie nicht. Nur zwei Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum, und irgendwie bekam sie sie zu fassen:
    Mein Zeug holen. Und zur höchsten Stelle laufen, die ich finden kann.

4. KAPITEL

    Nach den ersten Katastrophen hatte es in der Schule Gefahrenübungen gegeben: wie man sich bei einem Erdbeben zu verhalten hatte, bei Zyklonen und Springfluten. Ungezählte Stunden hatten sie Videos geguckt, über die Insel Maui, die von Lava überschwemmt worden war, und über die verheerenden Eruptionen und ungeheuren Ausbrüche des Mount St. Helens und des Vesuv, die die Stadt Portland in Oregon unter Asche und geschmolzenem Stein begraben und Neapel ins kochende Meer gekippt hatten. Selbst die jüngsten Schüler wussten, dass man sich gegebenenfalls unter Türrahmen stellen oder unter Pulte verkriechen musste, dass man Keller aufsuchen sollte oder die höchstgelegenen Orte.
    Noch bevor der Gedanke richtig in ihrem Kopf aufgetaucht war, hatte Lucy sich schon umgedreht und zu laufen begonnen. Wenn sie Glück hatte, blieben ihr zwanzig Minuten. Wenn nicht, zehn. Und wenn man in Betracht zog, wie sich die Dinge üblicherweise in ihrem Leben entwickelten, sollte sie besser nicht darauf setzen, genügend Zeit zu haben.
    Sie musste ihr Zuhause aufgeben. Dieser Gedanke verursachte ihr einen physischen Schmerz in der Brust. Der Strandlag nun hinter ihr, aber Lucy widerstand dem Drang, sich umzudrehen und zurückzusehen. Sie fürchtete den Anblick der auf das Land zurollenden Welle. Sie hatte Filme gesehen, in denen sich Tsunamis unendlich hoch auftürmten, Wasserwände, die so riesig und gewaltig waren, dass man dachte, Godzilla pflüge durchs Meer, seine ledrigen Fußgelenke umspielt von winzigen Zerstörern und Marineschiffen. Und sie hatte ein Video darüber gesehen, was nach einem Tsunami übrig blieb: Meile um Meile Verwüstungen, zu Kleinholz zerlegte Häuser, niedergemähte und bis auf die Grundfesten zerstörte Gebäude und die Leichen ertrunkener Menschen und Tiere, die wie Treibholz am Strand lagen.
    Die Zeit schien langsamer zu laufen und dann wieder schneller. Lucy kam sich vor, als sehe sie sich selbst in einem Kinofilm – kurze, flimmernde Szenen wie bei alten Aufnahmen, dazu verwackelte Einstellungen und das Ganze unendlich schlecht zusammengeschnitten. Schließlich fand sie sich in den Salzmarschen wieder, ohne den geringsten Schimmer, wie lange sie bis hierher gebraucht hatte. Es kam ihr vor wie Monate. Der Boden unter ihren Füßen war jetzt wieder fest. Sie kam schneller voran, und schließlich wich das struppige Gras flachen Sträuchern und kleinen Büschen, von denen sie um einige herumlief und über andere, von der Panik getrieben, hinwegsprang. Vor ihr lag der kleine Weidenhain, der ihren Unterschlupf barg. Wo der Boden vom Regen überflutet worden war, war er durchweicht und rutschiger als Öl. Lucy wich glitschigen Grashöckern aus. Ihr Atem ging in schweren Stößen, Schweiß rann ihr den Rücken hinab. Kurz vor demEingang trat sie in eine knöcheltiefe Pfütze, war aber schon wieder weiter, bevor sie die Nässe durch ihre Jeans kriechen spürte. Lucy stieß den Schutzschild weg, bückte sich, schlüpfte ins Innere und sah sich eilig um.
    Was sollte sie mitnehmen? Keine Zeit zum Nachdenken! Sie öffnete die Schnallen ihres Rucksacks, stopfte den Schal hinein und warf sich in ihre Lederjacke. Im Geist schoss sie Fotos von jedem Winkel ihres Unterschlupfs. Der Schlafsack, das Überlebenshandbuch auf dem Tisch, ihre Klamotten von gestern als feuchter, dreckiger Haufen auf dem Boden. Sie stopfte alles so tief in ihren Rucksack wie möglich und fühlte kurz, ob ihr Tagebuch dabei war. Dann schloss sie die Schnallen und schwang sich den Rucksack über die Schulter. Sie überlegte einen Moment, ob sie Sand auf das glosende Feuer werfen sollte, dann schalt sie sich, weil sie Zeit vertat. Tonnenweise Wasser war drauf und dran, über sie hereinzubrechen – aber es war eine Gewohnheit, die sie sich während der Großen Dürre angeeignet hatte, wenn ein versprengter Funken alles zunichtemachen konnte.
    Ein letzter Blick rundum. Viel besaß sie nicht. Die Töpfe und Pfannen waren unnötiger Ballast. Die Lebensmittelvorräte, die ihr geblieben waren, waren es nicht wert,
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