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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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hatte: Seite an Seite auf Rollbahren im Flur, unter Tüchern, mit denen man ihr Gesicht bedeckt hatte.
    Sie konnte dort drinnen unmöglich schlafen. Alle drei Stunden erhob sich das schleifende Dröhnen alter, durch Generatoren betriebener Ventilatoren, die zum Leben erwachten und die warme Luft und den schneidend dicken Mief von ungewaschener Kleidung, ungewaschenen Körpern und Nudel-Fertiggerichten verwirbelten. Und ständig erklangaus dem einen oder anderen Bett anhaltendes Wimmern, wie von einem verwundeten Tier, das sich zum Sterben in seinen Bau verzogen hatte, und ersticktes Schluchzen, das sich zuweilen in einem Ausbruch wilder Raserei Bahn brach. Die Frau im Bett neben Lucy, deren graues Gesicht vor Erschöpfung ganz welk war, hatte in einem fort geweint und geklagt: »Die Sweeper haben mir meinen Jungen weggenommen. Die Sweeper haben mir meinen Jungen weggenommen.« Bis es irgendwann klang wie der Text eines traurigen Songs. Lucy hatte in ihren Kleidern und Stiefeln geschlafen, den Rucksack fest an ihre Brust gedrückt. Sie hatte so schreckliche Angst, dass sie sich nachts nicht mal auf die Toilette traute, weil sich dort aus irgendwelchen finsteren Gründen schmuddelige Leute mit wildem Blick zusammenfanden.
    Eines Tages, als sie von einem einsamen Spaziergang durch ein matschiges, moskitoverseuchtes Viertel zurückkam, in dem es früher einmal die besten Läden für gebrauchte CDs gegeben hatte, hatte sie einen Trupp Leute in weißen Schutzanzügen gesehen, die mit der traurigen Frau und noch ein paar anderen – vor allem Kindern – aus dem Asyl kamen. Sie pferchten sie in einen weißen Van mit verdunkelten Scheiben und fuhren mit Vollgas davon. Die Männer trugen blaue Hygienemasken und Handschuhe.
    Die Frau hatte ihr Portemonnaie im Asyl gelassen. Es lag halb unter ihr Kopfkissen geschoben, als wollte sie gleich wiederkommen; als wenn sie gar nicht hatte weggehen wollen.
    Am nächsten Morgen war das Portemonnaie weg und dasKopfkissen auch. Kopfkissen waren ziemlich knapp. Danach war Lucy abgehauen. Sie hielt sich lieber abseits der Menschen, unter freiem Himmel auf, wo sie das Gefühl hatte, atmen zu können.
    Unerwartet suchte sich eine Handvoll Regentropfen ihren Weg durch das Dach und floss Lucy auf den Kopf und in den Nacken. Sie blinzelte. In den Winkeln des Unterschlupfs hatte sie Salbeibündel entzündet. Der violette Rauch stand dicht über dem Boden, und der aromatische Dunst war stark genug, um den beißenden Geruch der gekochten Schildkröte zu überdecken. Lucys Kleider waren immer noch feucht, wurden aber allmählich steif. Mindestens eine Stunde lang hatte sie einfach nur dagesessen und ins Leere gestarrt. Jetzt schälte sie sich aus ihren Klamotten, rubbelte sich die Haut mit einem kratzigen Handtuch ab und zog trockene Kleider an. Die dicken Wollsocken an den Füßen fühlten sich himmlisch an – auch wenn ihre großen Zehen heraussahen. Sie wickelte sich in den Schal ihrer Mutter, zog ihre Lederjacke darüber und schlug den Kragen bis zu den Ohren hoch. Ihre durchweichten Stiefel stellte sie näher ans Feuer.
    Dann warf sie einen Blick in die Tiefen des Kochtopfs. Der grünlich braune Inhalt erinnerte an eine dicke Suppe. Er roch salzig und fremdartig. Undefinierbare Klumpen und Fasern schwammen an der Oberfläche. Lucys Magen schlug einen unangenehmen Salto – ob vor Übelkeit oder vor Hunger, konnte sie nicht sagen. Es war mindestens sechzehn Stunden her, seit sie ein paar Löffel lauwarmen Eichelbrei in den Bauch bekommen hatte. Sie tauchte eine Schale in den Topfund achtete sorgfältig darauf, dass sie die trübe Brühe nicht zu sehr aufrührte. Die Suppe schmeckte intensiver, als Lucy erwartet hatte, ähnlich salzig wie gekochte Algen. Und obwohl sie ganz vorsichtig, mit gespitzten Lippen daran nippte und die Flüssigkeit durch die Zähne einsog, bekam sie mit den klebrigen Wildzwiebeln und den zähen getrockneten Pilzen immer noch jede Menge Sand und Partikelchen des Schildkrötenpanzers in den Mund. Das Ganze war nur unwesentlich weniger eklig als der Salamander-Eintopf, den sie gekocht hatte, bevor sie herausfand, dass es besser war, die Salamander vorher zu häuten. Aber sie rief sich ins Gedächtnis, dass ihr Überlebensbuch Schildkrötenfleisch als eiweißreich und mager pries. Trotzdem würde sie das Rezept wohl niemandem weiterempfehlen ...
    Sie zwang sich ihr Essen hinein, dann blieb sie ein paar Minuten sitzen und konzentrierte sich darauf, nicht darüber
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