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ePub: Ashes, Ashes

ePub: Ashes, Ashes

Titel: ePub: Ashes, Ashes
Autoren: Jo Treggiari
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breiten Sandstreifen. Und dann kam die Welle. Mit einem Mal war überall Wasser, schnell wie ein Düsenjet war es herangerauscht. Die Wellen drängten nach vorne und fluteten jeden verfügbaren Fleck.
    Die Halbkugel, die Lucys Unterschlupf gewesen war, glich nun einer auf den Kopf gestellten Schneekugel, die mit solcher Heftigkeit geschüttelt wurde, dass es ihr den Atem raubte. Bäume wurden entwurzelt und durch die Luft geschleudert, Büsche und Erdbrocken wurden losgerissen, umhergewirbelt und landeten in den brodelnden Wassermassen. Die steil emporragende Felsnadel war restlos umspült. Je näher die Welle kam, desto größer wurde sie, eine todbringende Wasserwand,höher als das Bürogebäude ihres Vaters, vor der alles rundum zwergenhaft erschien. Wie eine gigantische Faust prallte sie gegen den Berg. Lucy fühlte, wie die Erschütterung ihren Körper zum Beben brachte. Hätte sie sich nicht mit letzter Kraft gezwungen, den Hügel hochzulaufen, hätte die Welle sie eingeholt.
    Lucy sah auf das Wasser, einen schwindelerregenden Strudel aus Graublau und Smaragdgrün, der sich an den tiefen Stellen violett verfärbte und an der Oberfläche schäumte. Es war so nah, dass Lucy die brennende Gischt im Gesicht zu spüren glaubte und ihr der Salzgeruch in die Nase stieg. Ein orangefarbener Fleck in der Mitte eines braunen, schlammigen Wirbels aus zerkleinerten Bäumen, Buschwerk und Erde zog ihren Blick an, und Lucy erkannte die Plane ihres Camps wieder. Als die Welle mit einem schlürfenden Geräusch zurückrollte, das Lucy wie einen Sog an ihrer Kehle spürte, hinterließ sie nichts als eine dicke Schlammschicht. Der Boden dampfte in der Morgensonne. Es war still und nichts rührte sich.
    Lucy merkte, dass sie sich auf die Lippe gebissen hatte. Blut rann über ihr Kinn. Sie rieb es weg, sah kurz auf den hellroten Streifen an ihren Fingern und wischte ihn an ihrer Jeans ab. Sie starrte auf die Verwüstung hinab und versuchte ihren Geist zu zwingen, das alles zu verstehen: die zersplitterten Bäume, die dicken Schlammschichten und die Wasserlachen. Nichts von ihrem Unterschlupf war stehen geblieben. Selbst die Plane war mit aufs Meer hinausgezogen worden. Galle floss in Lucys Mund zusammen. Sie musste sich übergeben.Schildkrötensuppe – ihr Magen begann sich noch mehrere Male zusammenzuziehen, bis ihr Bauch restlos leer war.
    Ein paar Augenblicke, dann rappelte sie sich auf, entfernte sich von dem dampfenden Erbrochenen und suchte sich einen Platz, wo sie die Verwüstung im Rücken hatte und sie nicht sehen musste. Sie schob ihre Socke hinab und betastete ihren Knöchel. Er fühlte sich weich und geschwollen an, aber immerhin konnte sie ihren Fuß drehen und die Zehen beugen. Sie streifte die Socke ganz ab, band sie um ihren Knöchel herum und zog den Stiefel wieder an. Ihre Fußsohle und die Ferse waren mit zentimetergroßen Blasen übersät – trotzdem würde sie eine Weile ohne Socke weiterlaufen müssen. Als Nächstes widmete sie sich dem Schnitt in ihrer Handfläche. Er war wieder aufgegangen und blutete leicht. Sie umwickelte ihre Hand mit dem einzigen Halstuch, das sie jetzt noch besaß, zog die Enden zusammen und knotete sie fest zu. Lucys Fingerkuppen waren aufgerissen und schmerzten – aber sie empfand es fast als willkommene Ablenkung von ihrem Knöchel.
    Sie lehnte sich gegen ihren Rucksack und lauschte auf das heftige Pochen ihres Herzens. Der Hang vor ihr stieg nun sanfter an und wurde gekrönt von karstigem, verwittertem grauen Fels. Kleine Blumen mit pinkfarbenen Blüten wurzelten in den Spalten. Und in den Himmel, der von einem so strahlenden Blau war, dass es geradezu unwirklich erschien, schwang sich ein Habicht in immer enger werdenden Kreisen hinauf. Es muss wunderbar sein, so frei zu sein, dachte Lucy. Einfach so alles hinter sich lassen zu können.
    Es war vor allem der eklige Geschmack in ihrem Mund, der sie schließlich auf die Beine trieb. Sie lief zur Bergkuppe hinauf und versuchte dabei, ihren Knöchel zu schonen und ihre Beine zu lockern. In der Hoffnung, eine Quelle oder einen Bach zu entdecken, wo sie ihre Flasche auffüllen und vielleicht ihren Knöchel kühlen konnte, wanderte ihr Blick über das vor ihr liegende Gelände. Vor dem Berg tat sich eine Schlucht auf. Sie war allerdings nicht so tief, als dass Lucy sie nicht hätte hinab- und an der anderen Seite wieder hinaufsteigen können. Das, was auf der anderen Seite der Senke lag, machte sie viel eher nachdenklich und ließ sie
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