ePub: Der letzte Zauberlehrling
hatte er lässig einen roten Schal geworfen. Seine Hände steckten in schneeweißen Handschuhen.
Kaum hatte er sich aufgerichtet, ertönten Rufe aus der Menge, die sich schnell zu einem Sprechchor formierten: »Pompignac! Pompignac!« Wie ein Feuerwerk leuchteten die Blitzlichter der Fotografen immer und immer wieder auf.
Das war er also, der große Pompignac, den Tucker so hasste. Der Mann, der den Zauberern ihre Zaubersprüche abgekauft hatte, wenn das, was Ignatius gesagt hatte, stimmte. Kaum erklangen die ersten Rufe, da reckte er die Hände in Höhe, legte sie ineinander und verneigte sich leicht nach allen Seiten, so wie ein König, der gnädig die Ehrbezeugungen seiner Untertanen entgegennimmt. Sein triumphierendes Lächeln erinnerte mich allerdings eher an eine Raubkatze.
Während Pompignac sich im Jubel seiner Bewunderer sonnte, fuhren bereits die nächsten Limousinen vor. Jeder von ihnen entstiegen mehrere Personen, vorwiegend Männer, die ebenfalls Smokings und Umhänge trugen, manche von ihnen zudem noch hohe Zylinder. Die wenigen Frauen waren in schwarze Kleider gewandet, die bis auf die Knöchel reichten. Pompignac wandte sich den Neuankömmlingen zu und begrüßte sie mit einem Handschlag. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis der letzte Wagen seine Fahrgäste entladen hatte.Die etwa zweihundert Zauberinnen und Zauberer formierten sich zu Fünferreihen. Pompignac setzte sich an ihre Spitze, und mit würdevollen Schritten stiegen sie die Treppen zum Eingang des Grand Palais empor.
Die Kameras der Fotografen zu beiden Seiten der Treppe klickten ununterbrochen, bis auch der letzte Zauberer im Gebäude verschwunden war. Dann schlossen sich die Türen und die Reporter stoben davon. Auch die Zahl der Schaulustigen nahm rasend schnell ab. Wussten sie, dass es hier nichts mehr zu sehen gab? Oder hatte es sich vielleicht sogar nur um von Pompignac bezahlte Statisten gehandelt, die lediglich gekommen waren, um ihn zu bejubeln?
»Und jetzt?«, fragte der kleine Louis.
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Jetzt warten wir.«
»Worauf?«
»Dass sie wieder rauskommen.«
»Und dann?«
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Louis tat mir leid. Er wirkte hier in der großen Stadt verlorener als wir anderen, und mit seinen weit aufgerissenen Augen sah er eher aus wie ein verschrecktes Kind als wie ein Zauberlehrling. »Dann versuchen wir, einen Meister zu finden.«
»Aber wenn kein Zauberer mehr einen Lehrling annimmt?«
»Das sind doch bislang nur Gerüchte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich wirklich jeder Zauberer an Pompignac verkauft hat.«
Er nickte, aber überzeugt war er nicht, das merkte ich ihm an. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen vor dem Palais zu. Bisher waren nur Pompignac und die Zauberer eingetroffen, aber es gab doch sicher noch mehr Teilnehmer an dem Kongress? Was war zum Beispiel mit den Ehefrauen und Ehemännern? Immerhin hieß es der Ball der Zauberer. Und zum Tanzen brauchte es Männer und Frauen. Außerdem wurde das alles mit Sicherheit auch von der Presse verfolgt. Ich hatte angenommen, die Reporter seien in ihre Redaktionen zurückgeeilt. Aber vielleicht gab es noch einen zweiten Eingang, durch den die anderen Gäste in das Palais kamen?
»Ich seh mich mal ein bisschen um«, erklärte ich meinen Begleitern. »Wollt ihr mitkommen?«
Sie beratschlagten kurz und entschieden sich, mir zu folgen. Wir liefen zurück zur Champs-Élysées und bogen in die nächste Querstraße ein. Sofort erkannte ich, dass ich mit meiner Vermutung richtiglag. Vor uns lag eine Zufahrt, die von mehreren uniformierten Männern kontrolliert wurde. Dahinter erstreckte sich ein großer Hof bis zur Rückwand des Palais. Überall waren mit weißem Stoff bespannte Stehtische aufgestellt, um die sich Gäste drängten, zwischen denen Kellner in roten Hemden mit gefüllten Tabletts hin und her eilten. Von den Zauberern, die vorhin so pompös ins Palais eingezogen waren, war jedoch nichts zu sehen.
Einer der Uniformierten hob warnend die Hand, als wir uns der Einfahrt näherten. »Los, weitergehen! Hier gibt es nichts zu glotzen!«
Wir zogen langsam weiter. Wahrscheinlich hielten sich Pompignac und die Zauberer noch im Palais auf, und das hier waren Gäste, die zwar geladen waren, aber nicht an dem Festakt teilnahmen. Vielleicht war es also doch besser, vorne zu warten, denn da kamen wir wenigstens näher an die Türen heran und konnten einen Zauberer ansprechen, wenn er das Gebäude
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