ePub: Der letzte Zauberlehrling
entfernte er den Korken, setzte das Glas an den Mund und leerte es in einem Zug. Der Geruch von Schnaps erfüllte den Raum.
»Aaahh«, stöhnte er genüsslich. »Samira ist ein gutes Mädchen, aber sie versteht nicht, dass ein wenig Hochprozentiges am Morgen meine Nerven beruhigt. Deshalb versteckt sie bis zum späten Nachmittag alle alkoholischen Getränke vor mir.« Er musterte mich prüfend. »Hast du irgendein Problem damit?«
»Nein, äh ... Ich meine ... ist das ...«, stotterte ich.
»Ist das was?«
Ich nahm all meinen Mut zusammen. »Ist das Trinken nicht schlecht für die Zauberei, Meister?«
Er schwieg, und ich glaubte schon, er habe die Frage gar nicht zur Kenntnis genommen, als seine rechte Hand plötzlich nach vorn schoss und meinen linken Oberarm mit einer Kraft umklammerte, die ich dem gebrechlich wirkenden Mann nicht zugetraut hätte.
»Wie kannst du es wagen, mir etwas über Zauberei erzählen zu wollen?«, zischte er. Sein Speichel benetzte meine Wange. »Weißt du überhaupt, was es bedeutet, ein Zauberer zu sein? Nichts weißt du! Kannst gerade mal ein paar Tinkturen zusammenmischen und glaubst schon, mitreden zu können, was? Du Wicht!«
Bei diesen Worten schüttelte er mich die ganze Zeit hin und her. Ich beugte mich zurück, um dem Speichelflug zu entgehen, und versuchte, mich seinem Griff zu entwinden, aber seine Hand war wie eine Stahlklaue.
Schließlich ließ er mich los und drehte sich weg. Ich rieb mir den schmerzenden Oberarm. Was würde er jetzt tun? Würde er mich sofort wieder rausschmeißen? Er war so völlig anders als Gordius. Mein ehemaliger Meister war ein liebenswürdiger Mensch, dem nie ein böses Wort über die Lippen kam. Der Alte hier hingegen war grantig, kurz angebunden und, wie ich soeben erfahren hatte, jähzornig.
Prometheus war ein paar Schritte in der engen Kammer umhergewandert und blieb vor mir stehen. Sein Zorn war offenbar so schnell verraucht, wie er gekommen war. Jedenfalls klang seine Stimme wieder normal, und er tat so, als sei nichts geschehen.
»Du wirst dich mit den Utensilien hier vertraut machen.« Er warf einen Blick in die Runde. »Es könnte nichts schaden, wenn du dabei gleichzeitig ein wenig Ordnung schaffen würdest.«
»Ordnung?« Meine Augen wanderten hilflos über das Chaos um mich herum. »Aber ich weiß doch gar nicht ...«
»Papperlapapp«, unterbrach er mich. »Das ist doch ganz einfach. Bücher gehören zu Büchern, Schalen zu Schalen, Ingredienzen zu Ingredienzen und so weiter.«
Ich nahm eines der Fläschchen mit einem Pulver darin auf. »Aber es gibt keinerlei Beschriftung, Meister. Wie soll ich da wissen, was wohin gehört?«
Sein Mund verzog sich zu einem listigen Lächeln. »Das, Bursche, ist deine erste Aufgabe. Zum Aufräumen könnte ich auch eine Putzfrau kommen lassen. Aber ich will sehen, was du bei Gordius gelernt hast. Also los, ans Werk.«
Mit diesen Worten machte er kehrt und verschwand die Treppe hinab. Ich starrte ihm hinterher. So hatte ich mir meine Ausbildung nicht vorgestellt. Wie sollte ich etwas lernen, wenn mir niemand die Dinge erklärte? In diesem Augenblick hatte ich nicht übel Lust, alles hinzuschmeißen und mir einen normalen Job zu suchen. Papillon oder Agnetha würden mir sicher dabei helfen können. Aber das bedeutete auch, meine Hoffnung, einmal ein richtiger Zauberer zu werden, endgültig zu begraben.
Horatio regte sich in meiner Jackentasche und ich nahm ihn heraus. Wie immer beruhigte es mich, in sein stets gleichmütiges Gesicht zu blicken. »Was denkst du, Kleiner?«, flüsterte ich. »Sollen wir bleiben?«
Er richtete sich auf meiner Handfläche auf, legte den Kopf in den Nacken und schnupperte. Ich setzte ihn vorsichtig auf der Tischplatte ab. Er bahnte sich seinen Weg durch das Chaos, hielt mal hier, mal da an, um einen Fund näher zu begutachten, und rollte sich schließlich in einer Ecke zusammen.
Also wollte er wohl bleiben. Ich gab mir einen Ruck und begann, mich meiner neuen Aufgabe zu widmen. Als Erstes nahm ich mir das Bücherregal vor, denn das schien der einfachste Teil zu sein. Vorsichtig hob ich die ledergebundenen Bände heraus und stapelte sie auf dem Fußboden. Anschließend räumte ich alles, was sich dazwischen und dahinter befunden hatte, auf den Tisch, um es später anderswo einzusortieren.
So verbrachte ich den Vormittag. Irgendwann erschien Samira in der Tür und winkte mich nach unten. Sie wollte schon wieder gehen, als sie Horatio bemerkte, der sich soeben zu
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