ePub: Der letzte Zauberlehrling
vielversprechend aus. Seit nunmehr einer Stunde bemühte er sich, eine kleine Regenwolke über dem Modell hervorzubringen. Dabei schleuderte er seine Arme in der Luft herum und vollbrachte die unglaublichsten Verrenkungen seines dünnen Körpers, natürlich alles ohne Erfolg. So würde er noch eine ganze Woche herumfuhrwerken können, ohne zum gewünschten Ergebnis zu gelangen.
Prometheus und Samira waren unter dem Vorwand, nach Zaubereibedarf zu suchen, in die Stadt gegangen. Ich war mir jedoch sicher, dass der Alte lediglich hinter einer Flasche Schnaps her war, denn sein Vorrat war in den letzten Tagen beträchtlich zusammengeschrumpft. Auf jeden Fall war es eine gute Gelegenheit, mich mit dem Jungen etwas näher bekannt zu machen.
Ich verließ meinen Beobachtungsposten neben dem Ofen, trat zu ihm und räusperte mich, aber in seinem Eifer nahm er mich nicht wahr.
»So wird das nie was«, sagte ich.
Der Junge hielt in seinen Verrenkungen inne und sah sich suchend nach dem Sprecher um. Ich räusperte mich erneut und schließlich bemerkte er mich.
»Ach, du bist es«, sagte er, und die Enttäuschung in seinem Ton war nicht zu überhören.
»Wen hattest du erwartet? Eine holde Jungfrau?«
»Das wäre zumindest eine angenehme Überraschung«, erwiderte er. Auf den Mund gefallen war er jedenfalls nicht.
»Bin ich dir etwa als Gesellschaft nicht gut genug?«, knurrte ich.
»Nein, nein.« Er hob abwehrend die Hände. »Es ist nur ...«
»Du denkst, ein Werhörnchen kann über nichts anderes reden als über Nüsse, Nager und Nachtaktivität?«
Er machte ein etwas verlegenes Gesicht. »Das sind alles Themen, die mich brennend interessieren, glaub mir, aber nicht gerade in diesem Moment. Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?«
Ich sprang auf die Platte. »Über deine Turnübungen«, sagte ich. »So wirst du nie eine Wolke herbeizaubern.«
Er legte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. »Aha, du bist also ein Experte für Magie.«
Wie recht er hatte! Was die Theorie betraf, so konnte ich ihn und seinen Meister locker in die Tasche (die ich nicht besaß) stecken. Es haperte lediglich an der Praxis. Denn die Fähigkeit, mein Wissen in die Tat umzusetzen, war mir bei meiner Verbannung genommen worden.
»Experte genug, um zu sehen, dass du so nicht weiterkommst. Zaubern hat nichts mit Gymnastik zu tun. Zaubern ist eine Sache des Kopfes.«
»Was du nicht sagst!« Jetzt wurde er auch noch sarkastisch. »Und wie, bitte, zaubere ich mit meinem Kopf eine Regenwolke herbei?«
»Du könntest ihn so lange gegen die Platte schlagen, bis dir die Tränen aus den Augen schießen«, schlug ich vor. Wenn er auf ein intellektuelles Duell aus war, dann sollte er es haben. Schließlich war mir klar, wer dabei gewinnen würde.
Seine Augen blitzten mich an. »Sehr witzig. Vielleicht sollte ich es mal mit deinem Schädel versuchen.« Er streckte die Arme aus, als wolle er mich ergreifen.
Vor Schreck machte ich einen Schritt nach hinten und wäre fast über einen Kirchturm gestolpert. Nicht, weil ich mich vor seinem Griff gefürchtet hätte. Es war etwas anderes. Etwas, das ich seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte.
Das Mal.
Fünf Kerben genau an der Wurzel seines rechten Ringfingers: zwei gekreuzte Linien wie ein X und darüber, darunter und in der Mitte ein Querstrich.
Für den normalen Beobachter war es, wenn er die Linien denn überhaupt wahrgenommen hätte, lediglich ein zufälliges Muster. Aber ich wusste es besser.
Das war eine unverhoffte Wendung. Ob zum Guten oder Schlechten, würde sich noch zeigen.
Der Junge schnupperte.
»Riechst du das auch?«, fragte er mich.
»Was denn?« Ich setzte meine unschuldigste Unschuldsmiene auf.
»Dieser Geruch.« Er schob seinen Rüssel in meine Richtung vor und blähte die Nüstern. »Irgendwie eklig. Der ist mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen. Ist das so eine Drüsensache bei dir?«
Das ging gegen meine Ehre. »Ich muss doch sehr bitten!«, rief ich. »Du solltest nicht vergessen, wer von uns mit einem minderwertigen Riechorgan ausgestattet ist! Die Feinheiten komplexer Aromen sind eurer olfaktorischen Wahrnehmung doch grundsätzlich verschlossen.«
»Häh?« Er starrte mich verständnislos an. »Olfak-was?«
Zu spät merkte ich, dass ich mich zu etwas hatte hinreißen lassen, was mir gefährlich werden könnte. Ein Tier, das mehrFremdwörter kennt als ein Mensch, ist diesem prinzipiell verdächtig. (Wobei sich darüber streiten ließe, ob
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