ePub: Der letzte Zauberlehrling
spöttischen Lächelns. »Die Herkunft sagt nichts aus über den Charakter eines Menschen. Dein Meister Prometheus stammt ebenfalls aus einer angesehenen Familie. Und sieh dir an, was aus ihm geworden ist: ein alkoholsüchtiger Aufrührer. Nicht gerade die beste Gesellschaft für einen Jungen vom Land.« Er ließ sich von seinem Untergebenen ein weiteres Blatt reichen. »Du bist in einem Waisenhaus aufgewachsen, wie ich sehe.«
Ich nickte. »Das stimmt. Meine Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
»Sie waren beide Lehrer. Ein respektabler Beruf. Ehrbare Menschen also, so wie dein alter Meister Gordius. Ich frage mich, ob du ebenso ehrbar bist.«
Was sollte ich darauf antworten? »Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen«, sagte ich und merkte selbst, wie lahm das klang.
Pathé legte die Fingerspitzen gegeneinander und tat so, als denke er nach.
»Du musst dich in unsere Lage versetzen. Da ist jemand, der seit vielen Monaten jeden Tag mit Staatsfeinden verkehrt und behauptet, er habe von deren Aktivitäten nichts gewusst. Das klingt ziemlich unglaubwürdig, findest du nicht auch?«
»Wahrscheinlich«, räumte ich ein. »Aber es ist die Wahrheit.«
»Wenn wir dich jetzt laufen lassen, was wirst du dann tun?«
Mein Herz machte einen erleichterten Sprung, aber ich bemühte mich, mir davon nichts anmerken zu lassen, und zuckte lediglich mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wenn Prometheus wirklich verschwunden ist, habe ich keinen Lehrmeister mehr. Dann werde ich mir entweder einen Job suchen oder aufs Land zurückkehren.«
Er sah seinen Untergebenen neben sich an. »Was meinen Sie?«
»Ich traue dem Jungen nicht. Er versucht, uns für dumm zu verkaufen. Ich denke, wir sollten ihn hierbehalten.«
Auch der jüngere Beamte an der Wand nickte. Pathé erhob sich, verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging ein paar Schritte hin und her. Schließlich blieb er vor mir stehen.
»Was würdest du an meiner Stelle tun?«, sagte er. »Wie kann ich sicher sein, dass du nicht sofort, wenn wir dich laufen lassen, zu deinen Freunden Prometheus und Agnetha in den Untergrund abtauchst?«
»Agnetha ist untergetaucht?«, fragte ich. Das überraschte mich, denn bei unserem Abschied hatte sie nichts davon gesagt, dass sie Prometheus, Samira und Lothar begleiten wollte.
»Das hättest du nicht gedacht, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Aber warum ...?«
»Warum sie in den Untergrund gegangen ist? Weil sie eine Verräterin ist.« Er schwieg, ließ seine Augen aber nicht von mir ab. Ich fühlte mich klein unter seinem Blick. Pathé mochte aussehen wie ein zivilisierter Mensch, doch unter der Hülle steckte ein Raubtier, das nur darauf wartete, zum entscheidenden Sprung anzusetzen.
Er setzte seinen Spaziergang durch die Zelle fort. »Wenn ich einmal zu deinen Gunsten annehme, dass du diese Bande verlassen hast, weil du mit ihrem Vorhaben nicht einverstanden warst, und wenn ich weiter annehme, dass du, trotz allen Anscheins, ein ehrbarer Mensch bist, dem das Wohl des Staates, der uns alle schützt – und den ich schütze –, am Herzen liegt, dann dürftest du eigentlich nichts dagegen haben, deinen guten Willen unter Beweis zu stellen. Zum Beispiel, indem du uns Informationen zukommen lässt, wenn sich deine Freunde bei dir melden.«
»Ich soll meine Freunde an Sie verraten?«
Blitzschnell fuhr er herum und baute sich drohend vor mir auf. »Verräter kann man nicht verraten«, zischte er. »Ihr einziges Ziel ist, Schaden anzurichten. Sie aufzuhalten, ist kein Verrat, sondern Bürgerpflicht.« Er trat einen Schritt zurück. »Und ich frage dich, ob du deinen Bürgerpflichten nachkommen willst. So stellst du auch sicher, dass deinen Freunden, zum Beispiel diesem Tucker, nichts Schlimmes widerfährt.«
Ich warf einen Blick auf seine Untergebenen, deren Gesichtern bereits die Vorfreude anzusehen war, mich so richtig in die Mangel zu nehmen, sollte ich eine falsche Antwort geben. Aber die Drohung mit Tucker hatte gesessen. Ich wollte ihn nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringen.
»Das werde ich«, antwortete ich mit zittriger Stimme, die ich nicht mal zu spielen brauchte.
»Gut.« Er ging zur Tür, wo er sich noch einmal umdrehte.»Es gibt nur eins, was ich noch mehr hasse als Verräter. Und das sind Menschen, die meine Großherzigkeit missbrauchen.«
***
Natürlich wurde ich beschattet.
Es war nicht so, dass ich irgendjemanden gesehen hätte, aber sie waren sicher nicht so dumm, mir einen
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