ePub: Der letzte Zauberlehrling
Polizisten in Ledermantel und Schlapphut hinterherzuschicken. Wer auch immer es war, ich spürte es an meinen leicht aufgerichteten Nackenhaaren. Und natürlich hofften sie, dass ich sie zu Prometheus oder Agnetha führen würde.
Nachdem ihr Chef meine Zelle verlassen hatte, hatten mir seine beiden Handlanger genaue Instruktionen gegeben, wie ich ihnen Informationen zukommen lassen konnte. Als sie mich schließlich zum Ausgang brachten, betonten sie noch einmal, wie sehr ich Pathé für seine Großzügigkeit, mich laufen zu lassen, dankbar sein sollte.
Auf der Straße atmete ich erst einmal erleichtert durch. Selbstverständlich hatte ich nicht vor, meine Freunde zu verraten, und wie viel Pathés Vertrauen wert war, das merkte ich an meiner Überwachung. Trotzdem wollte ich nicht wieder in seine Hände fallen. Mir war klar, dass ich ebenfalls untertauchen musste. Ich kannte nur einen, der mir in dieser Situation helfen konnte: Papillon. Seinen Namen hatten die Beamten beim Verhör nicht erwähnt. Das konnte ein Trick sein; vielleicht war er ihnen bislang aber wirklich durchs Netz gegangen. Trotzdem wollte ich nicht das Risiko eingehen, ihn direkt zu treffen.
Inzwischen war Mitternacht verstrichen und ich brauchte irgendwo einen Schlafplatz. Ich war seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen, und als ich jetzt zwischen den Flaneuren auf den Boulevards entlangstapfte, traf mich die Erschöpfung wie ein Faustschlag. Ich hatte das Gefühl, keinen weiteren Schritt mehr zu schaffen, und ließ mich, ohne groß nachzudenken, auf den Stuhl eines Straßencafés sacken.
Von den Tischen war nur noch etwa die Hälfte belegt, und so dauerte es nicht lange, bis ein Kellner herankam und mich fragte, was ich zu trinken wünschte. Dabei musterte er mich misstrauisch. Ich entsprach von meinem Äußeren wohl nicht der sonst üblichen Kundschaft. Ich suchte in meinen Taschen nach etwas Geld, fand aber nur noch ein paar kleine Münzen, mit denen ich mir nie und nimmer ein Getränk leisten konnte. Gerade wollte ich mich wieder aufraffen, als eine Stimme von einem der Nachbartische ertönte: »Na, wenn das nicht unser Laborant ist!«
Ich drehte mich zu dem Sprecher um. Es war Pierre, der Maurer. Allerdings hätte ich ihn auf den ersten Blick nicht wiedererkannt, denn er trug einen eleganten Anzug mit Krawatte und hatte seine Haare sorgfältig nach hinten gegelt. Er saß dort in Begleitung zweier Frauen, die seine Töchter hätten sein können.
Pierre winkte mich zu sich an den Tisch. »Junge, du siehst ja furchtbar aus«, rief er, als ich näher kam. Er schob mir einen Stuhl hin und bestellte beim Kellner einen großen Milchkaffee und ein Schinkenbaguette für mich.
»Ich habe nicht genug Geld, um das zu bezahlen«, protestierte ich.
»Kein Problem«, lachte er. »Mädels, ich darf euch den jungen Mann vorstellen, dessen Existenz es mir erlaubt, euch heute hier auszuführen. Und den ich deshalb auch gerne einlade.« Und als er meinen fragenden Blick bemerkte, ergänzte er: »Dein Freund hat mich für meine kleine Hilfestellung vor ein paar Wochen gut bezahlt. Du musst dich also bei ihm dafür bedanken.« Er deutete auf das Tablett mit dem Baguette und Kaffee, das der Kellner soeben vor mir abstellte.
Seine Begleiterinnen kicherten. Sie waren etwas zu dick geschminkt, und ich vermutete, dass sie weder Pierres Töchter noch sonstige Verwandte waren.
Pierre hob sein Bierglas. »Auf unseren Wohltäter«, rief er. Ich erwiderte seinen Trinkspruch mit einem Kopfnicken. Dann schlug ich meine Zähne in das Baguette. Ich hatte seit heute Morgen nichts mehr gegessen und mein Magen verlangte dringend nach Arbeit.
Als ich den letzten Krümel verputzt hatte, schaute ich mich möglichst unauffällig um. Pierre beugte sich über den Tisch zu mir hin. »Der, den du suchst, sitzt fünf Tische weiter. Der Mann mit der Wasserflasche.«
Ich hätte ihn nicht erkannt. Der Mann trug einen abgewetzten Mantel und sein Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Er war in ein Buch vertieft und schien mich gar nicht zu beachten.
»Bist du sicher?«, fragte ich. »Und woher weißt du überhaupt ...«
»Pierre macht so schnell keiner was vor, was Mädels?«, grinste er, und die beiden kicherten erneut. Dann senkte er seine Stimme wieder. »Ich lebe lange genug in dieser Stadt, umeinen Polypen zu erkennen, wenn ich ihn sehe. Der da kam kurz nach dir an und tat so unauffällig, dass es schon wieder auffällig war. Zumindest, wenn man einen Blick dafür hat.«
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