ePub: Drachenhaut (German Edition)
Park ins Haus. Vor dem Eingang, der ins Innere des Palastes führte, standen zwei schwer bewaffnete Janitscharen mit gezwirbelten Bärten und versperrten das Portal.
Dann eilte ein Hofbeamter herbei, der sich tief verneigte und sie ins Innere des Serails komplimentierte. Der Beg legte eine Hand an Lilyas Ellbogen und sie folgten dem Mann durch lange, marmorverkleidete, goldgeschmückte Gänge. Die Pracht nahm Lilya den Atem.
Sie durchquerten einen großen Patio, in dem Springbrunnen und flache Wasserbecken für frische Luft sorgten, und betraten eine weitläufige, nach drei Seiten offene Halle. Am entgegengesetzten Ende führte ein goldverziertes Portal in einen kleineren, nicht weniger prächtigen Raum, der mit Seidenteppichen und Möbeln aus edlem Holz ausgestattet war. Das Podest an der Stirnwand des Raumes trug einen goldgeschmückten Polstersitz, auf dem ein breitschultriger, graubärtiger Mann mit einem goldenen Stirnreif saß und ihnen entgegensah. Zu seiner Linken standen ein dunkel gekleideter alter Mann, der sich auf einen Stab aus Ebenholz stützte, und ein Jüngerer in Uniform, der gelangweilt zur Decke blickte. Neben den beiden Männern saßen drei junge Frauen auf einem breiten Diwan, der von einem kleinen Wandschirm gegen das einfallende Licht abgeschirmt wurde. Sie neigten die Köpfe zueinander und tuschelten, und Lilya konnte die Blicke beinahe körperlich spüren, die ihr folgten. Zwei Sklaven sorgten hinter dem Diwan mit großen Fächern für Kühlung.
Zur Rechten des Königs blickte ein hünenhafter Mann mit kurz geschorenem Haar und hellen Augen aufmerksam zu ihnen hin. Er war breit gebaut und hatte ein rundes Gesicht, das ruhig und freundlich wirkte, wenn auch nicht ohne Härte, die seinen Mund schmaler wirken ließ, als er in Wirklichkeit war. Sorgenfalten lagen um seine Augen und den Mund. Er hatte die Hände vor dem Bauch verschränkt und stand in einer scheinbar entspannten Haltung da, aber Lilya spürte eine Anspannung in ihm, die an ein zum Sprung bereites Raubtier erinnerte.
»Wer ist das?«, flüsterte sie dem Beg zu, aber ihr Großvater machte eine unwillige Kopfbewegung. Lilya verwahrte ihre Frage im Gedächtnis und wandte ihre Aufmerksamkeit einem Kind zu, das zu Füßen des großen Mannes kauerte. Ein Kind?
Lilya atmete überrascht ein. »Oh«, hauchte sie entzückt. Sie hatte davon gelesen, aber nicht gewusst, dass der Shâya so jemanden in seinen Diensten hatte. Ein Hofnarr! Ein Verwachsener, kaum größer als ein Kind, mit einem großen Buckel, der seinen Kopf tief auf die Brust drückte. Der Zwerg trug prächtige rote und goldene Kleider, die in absurdem Kontrast zu seinem krummen Leib mit dem vorgewölbten Bauch und der eingesunkenen Brust standen. Er schien noch jung zu sein, denn er hatte schönes, glänzend schwarzes Haar, das lang über seinen Rücken fiel, und zierliche Hände. Jetzt hob er den Kopf und sah sie an und Lilya wich unwillkürlich zurück. Wie schlimm musste es sein, jeden Tag in ein solches Gesicht zu schauen, jeden Morgen in einer solchen Gestalt zu erwachen. Mitleid zog ihr das Herz zusammen, bis es in ihrer Brust lag wie ein harter Klumpen Stein.
Der Zwerg sah sie unverwandt an. Seine übergroße Nase hing weit über den Mund herab, dessen Unterlippe sabbernd herabhing und dem Gesichtsausdruck etwas unsäglich Blödes verlieh. Er hatte beinahe kein Kinn, der Kopf schien direkt in den Hals zu wachsen, und der wiederum verschwand zwischen den ungleichen Schultern. Das Gesicht des Zwerges erinnerte Lilya an ein Kamel, nur seine Augen waren groß und grün und schimmerten wie Katzenaugen.
Ihr wurde plötzlich schwindelig und sie griff nach dem Arm ihres Großvaters. Ein riesiger dunkler Schatten ragte über dem buckligen Zwerg auf, und für den winzigen Moment eines Lidschlages glaubte sie, eine schwarze Raubkatze dort am Fuß des Thrones kauern zu sehen.
»Was ist«, zischelte der Beg. »Halte dich doch gerade, Kind!«
Lilya hob das Kinn und ließ ihren Blick von dem Hofnarren zum König wandern. Der Shâya hatte dunkle Augen und eineAdlernase und trotz seines ergrauenden Haars wirkte er straff und stark. Er erwiderte ihren Blick und runzelte die Stirn.
»Verbeugung«, flüsterte Kobad. Seine Hand drückte ihre Schulter. Lilya verneigte sich tief und wartete, bis der König sie ansprach.
»Kobad, mein Freund«, hörte sie Shâya Faridun sagen. »Du bringst mir also deine ‒ ah ‒ Enkelin. Lass dich ansehen, Kind.«
Lilya erhob sich und näherte
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