ePub: Drachenhaut (German Edition)
sich dem Thron. Der König beugte sich vor und sah sie prüfend an. »Diese Maske?«, fragte er.
Kobad räusperte sich. »Der Überfall, bei dem Lilyas Eltern starben. Sie hat Verbrennungen, die ich aber mit gutem Erfolg behandle. Die Narben sind so gut wie verschwunden.«
Lilya hörte die Frauen miteinander wispern. Sie hielt den Kopf hoch erhoben und erwiderte Fariduns Blick. Der König nickte nachdenklich. »Sehr gut«, sagte er. »Sehr gut. Dein ‒ ah ‒ Großvater hat mir von dir erzählt. Du bist wirklich ein ganz besonderes Mädchen.« Er schickte sie mit einem leutseligen Nicken zurück und wandte sich wieder an den Beg. »Kobad, du hattest dich angeboten, meinen Sohn erneut zu untersuchen. Ich wünsche, dass du und deine Begleiterin ein paar Tage als meine Gäste hier im Serail bleiben. Der Hofmeister wird dich zu euren Gemächern führen, und ich habe nach deinen Wünschen ein Laboratorium einrichten lassen, damit deine Studien keine Unterbrechung erfahren müssen. Wenn du darüber hinaus noch etwas benötigst, steht der Kämmerer ganz zu deinen Diensten.«
Kobad neigte den Kopf. »Ich danke dir, Großedler. Deine Güte kennt keine Grenzen.«
Lilya schluckte. Hatte sie den König richtig verstanden? Sie sollte mit ihrem Großvater hier im Palast bleiben? Sie sah fragend zu Kobad auf, aber der Beg blickte starr geradeaus. Sie musterte sein scharfes, strenges Profil und seufzte. Das war doch eigentlich ein Abenteuer, von dem alle Mädchen in Mohor träumten. Im Serail des Shâyas zu wohnen und sich inmitten all dieser Pracht und Wunder aufhalten zu dürfen. Spaziergänge durch die Gärten und Parks des Serails unternehmen zu können, was sonst nur den Höflingen und ihren Damen erlaubt war. Sich an den Köstlichkeiten zu laben, mit denen die königliche Tafel beschickt wurde.
Lilya seufzte und flüsterte: »Ich möchte nach Hause, Baba.«
Ihr Großvater presste die Lippen zusammen und ruckte verneinend mit dem Kopf.
Der Shâya winkte ihn zu sich, und Kobad schenkte Lilya einen warnenden Blick, bevor er sie stehen ließ und sich dem Thron näherte. Dort sprachen er und der König eine Weile in gedämpftem Ton miteinander.
Lilya stand ein wenig verloren in der Mitte des Raumes und war sich der Blicke nur zu bewusst, die auf ihr ruhten. Sie hob unsicher die Hand an die Maske und ließ sie hastig wieder sinken. Ihr Blick irrte umher und wurde von dem des großen Mannes aufgefangen, der hinter dem Narren stand. Er sah sie starr und fragend mit seinen hellen Augen an, und als er erkannte, dass Lilya seinen Blick erwiderte, sandte er ihr ein beinahe unmerkliches Nicken und eine Handbewegung, die ihr »später« bedeutete. Er wollte mit ihr sprechen? Aber warum? Wer war dieser Mann?
Lilya senkte die Lider. Mochte er es als Zustimmung sehen. Sie fühlte sich unbehaglich und fremd und sehnte sich nach ihrem Zimmer und sogar nach Ajja.
Der große Mann nickte noch einmal und sah dann in eine andere Richtung. Sie sah, wie sich seine Lippen bewegten. Er sprach mit jemandem, aber dort in seiner Nähe war niemand. Nun, doch, es war jemand da ‒ der Zwerg. Er hockte zu Füßen des großen Mannes und drehte unablässig etwas in seinen Fingern. Seine Augen, die in ihrer Schönheit so deplatziert in diesem Gesicht erschienen wie seine schönen Kleider an seinem verunstalteten Körper, starrten leer und stumpf auf einen Punkt irgendwo in der Luft. Lilya konnte den Blick nicht von ihm wenden. Wie konnte jemand so grausam sein, diesen hässlichen, verwachsenen kleinen Mann in solch absurd prächtige Kleider zu stecken und neben den Thron zu setzen, als wäre er ein Schaustück?
Der Shâya beendete sein Gespräch mit Kobad und lehnte sich zurück. Er winkte, und der alte Mann mit dem Ebenholzstock, der die ganze Zeit still dagestanden hatte, trat vor und sagte: »Die Audienz ist beendet. Ihr dürft euch nun entfernen.« Er stieß den Stock hart auf den Boden.
Lilya ließ sich von ihrem Großvater hinausführen. Sie mussten rückwärts gehen, das hatte Kobad ihr vor ihrem Eintreten noch schnell zugeflüstert. Lilya sah, wie der König sich an seinen Narren wandte und in scharfem Ton etwas zu ihm sagte. Der Zwerg hob langsam den Kopf und sah den Shâya an. Dann nickte er und stand mit schwerfälligen Bewegungen auf, und der große Mann, der Lilya Zeichen gegeben hatte, beugte sich eilig nieder und half ihm dabei. Lilya sah voller Mitleid, wie der Zwerg auf seinen kurzen, krummen Beinen hinausschaukelte. Jeder Schritt
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