ePub: Drachenhaut (German Edition)
brachte sich vor dem tropfenden Ungetüm in Sicherheit. »Bist du übergeschnappt?«
Die Kinderfrau hielt sie mit unbarmherzigem Griff fest. »Lass dir den Schlaf aus den Augen waschen«, sagte sie. »Dann zieh dich an, schnell.« Sie zerrte an Lilyas Nachtgewand und zog es ihr über den Kopf. »Ich muss dich noch herrichten. Der Kamm, wo sind die Haarnadeln?« Sie verschwand murmelnd im Nebenzimmer.
Lilya war zu müde, um sich weiter zu wundern. Mit unsicheren Fingern zog sie das Unterkleid über den Kopf und schlüpfte in die eng geschnittene Hose. Sie nestelte an den winzigen Knöpfen und Schleifen des Oberkleids herum, als Ajja wieder hereinkam, einen Kamm und die Bürste schwenkend. »Wir müssen dich hübsch herrichten«, sagte sie und begann, Lilyas wirres Haar zu bürsten, ohne auf die Protestschreie des Mädchens zu achten. »Du gehst mit dem Herrn zum Serail. Du wirst eingeführt. Endlich wirst du eingeführt, meine kleine Rosenknospe.« Ihre Hände zitterten vor Aufregung.
»Ajja«, sagte Lilya geduldig. »Au. Autsch. Was redest du? Wo werde ich eingeführt?«
Ajja schob die Hand weg, mit der Lilya sich gegen den ziependen Kamm schützen wollte. »Der Shâya geruht, dich zu empfangen«, erklärte sie. »Wie lange habe ich darauf gewartet. Mein Täubchen, meine Herzensblume hat eine Audienz. Du wirst endlich bei Hofe eingeführt!«
»Oh«, sagte Lilya. Sie sank in sich zusammen. So müde und ausgelaugt, wie sie sich fühlte, war sie gar nicht erpicht darauf, irgendwelche höfischen Zeremonien über sich ergehen zu lassen. »Worauf muss ich mich da einrichten?«
»Na, das klingt aber gar nicht begeistert.« Ajja hielt für einen Atemzug inne und musterte Lilya missbilligend. »Du siehst schrecklich aus. Ich muss unbedingt etwas gegen die Ringe unter deinen Augen unternehmen.«
Lilya ergab sich. Sie schloss die Augen und ließ Ajja murmeln, hantieren, pudern und malen, flechten und knöpfen.
»So. Jetzt bist du präsentabel.« Das Kindermädchen trat zurück und musterte sie mit vor der Brust gefalteten Händen. Sie wiegte den Kopf. »Du siehst immer noch müde aus, Kind, aber dennoch so hübsch, wie du bist.« Sie beugte sich vor, als wolle sie Lilya einen Kuss auf die Wange geben, wie sie es früher immer getan hatte, schreckte aber im letzten Moment zurück.
»Ich rufe dich, wenn die Sänfte bereit ist«, sagte sie. »Ruh dich noch ein wenig aus.« Sie ging hinaus und schloss die Tür. Lilya hockte sich auf die Kante ihres Bettes. Sie war so müde, als hätte sie in der Nacht kein Auge zugetan.
Von der Tür erklang ein zaghaftes Klopfen. Lilya sah die eintretende Sklavin fragend an. Es war das Mädchen aus Yanis Dorf, wie war noch ihr Name? Ach ja, Hennu.
»Ich komme als Botin, Herrin«, flüsterte die Sklavin leise. Sie näherte sich mit niedergeschlagenen Augen und hielt Lilya ein gefaltetes Stück Papier hin. Es sah schmuddelig aus, mit Flecken und Knitterfalten. Lilya wich ein wenig davor zurück. »Was soll ich damit?«
Nun sah das Mädchen doch auf. »Ein Brief«, sagte sie eindringlich. Ihr Blick deutete an, dass sie nicht laut aussprechen wollte, von wem er stammte. »Von einem Freund.«
Lilya riss die Augen auf und unterdrückte einen Ausruf. Sie griff nach dem Brief und nickte mehrmals heftig. »Hast du … hast du ihn gesehen?«
Hennu schüttelte den Kopf. »Jemand aus unserem Dorf hat ihn gebracht. Sie bauen es wieder auf.« Ihre Stimme war sehnsüchtig. Lilya beugte sich vor und zog das Mädchen in eine feste Umarmung. »Eines Tages wirst du wieder frei sein«, flüsterte sie.
Hennu nickte höflich, aber ihre Miene sagte deutlich, was sie von dieser Versprechung hielt, von der sie beide wussten, dass Lilya sie nicht würde einlösen können.
»Danke, Hennu«, sagte Lilya. »Jetzt geh, ehe dich jemand hier sieht.«
Sie wartete, bis das Mädchen die Tür geschlossen hatte, dann faltete sie das zerknitterte Blatt Papier auseinander. Ihr Mund war trocken vor Aufregung. Als Erstes sah sie sich die Unterschrift an. »Yani« stand dort, groß und deutlich. Er lebte! Er war frei und den Häschern entkommen! Lilya seufzte vor Aufregung und Erleichterung und zwang ihre Hände, das Blatt ruhig zu halten, damit sie die ungelenke Schrift entziffern konnte.
Lilya-Banu, las sie, wenn du das hier ließt, dann weist du, das Yani lebt. Ich bin zurügzüruck wider in meinem alten Dorf. Es ist noch eine Ruwine, aber alle die überlept haben, sind heimgekert und bauen es wider auf so wie es
Weitere Kostenlose Bücher