ePub: Drachenhaut (German Edition)
Eunuchen frei und ungehindert den Wohntrakt der Frauen betreten.
Sie entspannte ihre Finger, die sie in den Stoff ihres Gewandes gekrallt hatte, und probierte ein Lächeln.
Die besorgte Miene des großen Mannes entspannte sich ebenfalls und er erwiderte das Lächeln. »Darf ich dir den Garten zeigen? Wir haben einen sehr schönen Granatapfelhain.«
Lilya riss die Augen auf. Woher kannte er ihre Vorliebe für diese Bäume und ihre Frucht? Misstrauisch wich sie ein Stück zurück. »Ich weiß nicht, ob ich ohne Erlaubnis ...«, begann sie.
Der Obersteunuch legte den Finger auf die Lippen und sah sie beschwörend an. »Der Beg wird nichts dagegen einzuwenden haben«, sagte er laut. »Er hat sich soeben zu einem Nickerchen zurückgezogen. Ich verspreche dir, dass wir wieder hier sind, bis er aufwacht.«
Sie nickte zögernd. Das Misstrauen war nicht kleiner geworden, aber andererseits ‒ was befürchtete sie von diesem Mann? Er konnte kein heimtückischer Entführer oder so etwas sein, wenn er ein hoher Hofbeamter war, der zur Rechten des Thrones stehen und den Prinzen erziehen durfte. Außerdem begann die Neugier in ihr zu erwachen und verjagte ihre Mattigkeit und Verzagtheit. Was hatte sie zu verlieren?
»Gehen wir also«, sagte sie und griff nach ihrer Dupatta. Der große Eunuch kam ihr mit einer automatisch wirkenden Bewegung zuvor, nahm das Tuch und legte es um ihre Schultern. Sie dankte ihm und wartete, dass er die Tür öffnete.
Die Gärten des Serails waren berühmt, obwohl es nur wenigen jemals vergönnt war, sie zu betreten. Eine Weile lang genoss Lilya den Anblick der grünenden und blühenden Pracht und der vielen farbensprühenden Vögel und Schmetterlinge. Sie erfreute sich an den Wasserbecken und Fontänen, den rosenüberrankten Lauben und kunstvoll zu Kegeln und Kugeln beschnittenen Büschen und vergaß für einige Augenblicke alle Sorgen, die sie bedrückten.
Der Obersteunuch sprach nicht viel, während er sie tiefer in den Garten führte. Er wies hier und da auf etwas besonders Bemerkenswertes hin, wie eine seltene Orchidee, einen langschwänzigen Papagei oder einen prächtigen weißen Pfau, aberim Übrigen schwieg er und sah nur gelegentlich Lilya mit einem Ausdruck der Verwunderung an.
Sie umrundeten ein großes Wasserbecken und Lilya stieß einen Entzückenslaut aus. So große und üppige Granatapfelbäume hatte sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen. Die Bäume mussten sehr alt sein.
»Zweihundert Jahre«, sagte der Obersteunuch, als sie ihren Gedanken laut äußerte. »So sagt man zumindest. Ich bin nicht alt genug, um das aus eigenem Wissen bestätigen zu können.«
Lilya sah zu ihm auf. Er lachte mit den Augen und sein Gesicht erschien offen und freundlich. Das ließ einen Teil ihres Misstrauens dahinschmelzen. Aspantaman war ein Mann, zu dem sie gerne Zutrauen gefasst hätte. Sie seufzte und berührte unwillkürlich wieder ihre Maske.
»Ist das nicht sehr störend?«, fragte er.
Sie ließ die Hand sinken, als hätte er sie bei etwas Unschicklichem erwischt. »Nein, nein«, stotterte sie und wandte das Gesicht ab.
»Verzeihung«, sagte er.
Sie nickte stumm und atmete tief und unglücklich ein. Warum fühlte sie sich die ganze Zeit so klein und ängstlich? Weil sie nicht zu Hause war, wo sie sich auskannte?
»Wir sind da«, sagte Aspantaman nach einigen weiteren Schritten. Ein kleiner Pavillon aus Holz mit kunstvoll durchbrochenen Wänden stand im Schatten der Bäume. Der Eunuch öffnete die Tür und ließ Lilya eintreten.
»Was wollen wir hier?«, fragte sie und verstummte, als sie den Wartenden erblickte.
Der Eunuch zog die Tür hinter sich zu und stand so davor, dasser sie vollkommen versperrte. »Da ist sie«, sagte er zu Lilyas Überraschung zu dem Zwerg, der auf der halbrunden Bank hockte.
Der Bucklige hob mühsam den Kopf und fasste Lilya ins Auge. Sein Blick war unstet und verschleiert. »Wer?«, fragte er nuschelnd.
»Das Mädchen, nach dem du mich hast suchen lassen«, erwiderte der Obersteunuch geduldig. »Du erinnerst dich, wenn du dich ein wenig bemühst, Massin. Versuch es.«
Lilya schüttelte den Kopf. Der Hofnarr hatte nach ihr suchen lassen? Warum das? Woher kannte er sie überhaupt und warum erinnerte er sich jetzt ganz offensichtlich nicht mehr daran? Sie warf einen fragenden Blick zu Aspantaman.
Der Obersteunuch stand mit geduldiger Miene da, die Hände vor dem Bauch gefaltet. »Massin?«, sagte er sanft.
»Ich versuche es ja«, gab der junge Zwerg
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