ePub: Drachenhaut (German Edition)
Basars, und die Gewölbe, die rechts und links lagen, standen leer.
Der Mann, ein vierschrötiger Kerl, der wie ein Lastenträger aussah, grinste sie zahnlückig an und drängte sie Schrittchen fürSchrittchen tiefer in die Schatten zwischen den verlassenen Geschäften. Er schnalzte mit der Zunge, fasste nach ihr und fluchte, als Lilya sich flink unter seinem Griff hindurchwand und ihm dabei noch fest auf den Fuß trat.
»Miststück. Warte, wenn ich dich erwische!« Er rannte hinter ihr her und packte mit seinen groben Händen ihre Schulter. Er riss Lilya herum und schleuderte sie gegen einen Stapel leerer Kisten.
Das raue Holz scheuerte Lilyas Wange auf. Sie schlug nach der Hand, die sich durch ihre Kleider wühlen wollte, und trat dem Mann gegen die Beine, aber er grunzte nur und versetzte ihr eine heftige Ohrfeige, die ihr einen Moment lang den Atem und die Sicht nahm.
Er war über ihr, drängte sie auf den Boden. Sein schnaufender, übel riechender Atem strich über ihr Gesicht. Lilya würgte und wehrte sich trotz ihrer Benommenheit verbissen gegen ihn, aber er drückte sie mit Gewalt zu Boden.
Dann hörte sie, wie jemand herangelaufen kam. Das Gewicht des Körpers, das sie beinahe erstickte, verschwand. Sie blinzelte und sah, wie ein Mann den Kerl von ihr fortzerrte und dabei leise und bedrohlich fluchte. Lilya richtete sich auf und beobachtete die beiden.
Ihr Retter trug die weite Kleidung der Wüstenleute und ihre schalartig über die Schultern fallende, lose Kopfbedeckung. Er hatte einen Dolch in der Hand, mit dem er dem Kerl jetzt einen drohenden Wink gab.
Der Lastenträger, der aus einem langen Schnitt blutete, der sich quer über seine Wange zog, fluchte und machte wütende Gebärden, aber er zog sich zurück. Lilya stützte sich an der Wandab und stand auf, während der Wüstenmann mit dem Rücken zu ihr dastand und zusah, wie ihr Angreifer das Weite suchte.
Dann drehte er sich um und musterte sie flüchtig. Er nickte, als er sah, dass sie lächelte, deutete eine Verbeugung an und wollte sich abwenden.
»Darf ich mein Wasser mit dir teilen?«, rief Lilya hastig in der Sprache der Wüstenleute. Diesen Satz hatte Ajja ihr einmal widerstrebend beigebracht, weil Lilya sie bedrängt hatte. Sie wusste selbst nicht mehr, warum ‒ sie hatte wohl einfach wissen wollen, wie die Sprache der dunklen Leute sich anhörte und anfühlte, wenn sie selbst sie sprach. Dieser Satz war ein traditioneller Gruß unter Fremden, hatte Ajja ihr erzählt. Ihn musste man sagen, wenn man sich in der Wüste begegnete ‒ und die Antwort darauf lautete ...
»Ich fühle mich geehrt, Wasserschwester«, sagte der Fremde und legte die Hände an die Stirn. Dann erst sah er sie das erste Mal richtig an, höfliche Neugier im Blick. Lilya hob die Hand und nahm mit einer fahrigen Geste ihren Schleier vom Gesicht.
Der Fremde atmete scharf ein und legte seine große Hand um ihr Handgelenk, zwang sie, den Schleier wieder fallen zu lassen. Er sagte leise und hastig einige Worte, die Lilya nicht verstand.
Sie zuckte hilflos die Achseln und sagte: »Ich spreche eure Sprache nicht, Wüstenmann. Es tut mir leid. Ich suche einen Kaufmann namens Zubin. Kannst du mir den Weg zu ihm weisen?«
Der Mann sah sie verblüfft an, bevor er ihr einen Wink gab. »Komm mit«, sagte er auf Sardara. »Zubin ist ein ehrenwerter Mann, aber du trägst die Zeichen meines Volkes. Wenn du mir vertraust, werde ich dich zu jemandem bringen, mit dem du sprechen kannst.«
Lilya fühlte ihr Herz klopfen, während sie ihm folgte. Er trug nicht die wilde Bemalung der anderen Wüstenleute. Sein Gesicht war schmal und scharf geschnitten wie das eines wilden Falken. Er glich weder in seiner Haltung noch seinem Erscheinungsbild den Wüstenmännern, die hier in der Stadt lebten.
»Darf ich deinen Namen wissen, Wasserbruder, damit ich weiß, wem ich für meine Rettung danken darf?«, fragte sie atemlos. Wasserbruder. So nannten sich Wüstenleute, die nicht miteinander versippt waren. Durfte sie als Sardari ihn überhaupt so ansprechen?
Der Mann sah auf sie hinab. Seine lackschwarzen Augen lächelten, auch wenn das dunkle, strenge Gesicht ernst blieb. »Ich werde Gwasila genannt, kleine Schwester.« Er fragte sie nicht nach ihrem Namen und Lilya nickte deshalb nur.
Gwasila führte sie über verschlungene Wege in einen Teil des Magiya-Basars, den Lilya nicht kannte. Sie hatte vollkommen die Orientierung verloren, aber das störte sie nicht. Es gab ja ohnehin für sie
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