ePub: Drachenhaut (German Edition)
jauchzend die Arme.
Lilya stand und blickte den Ankömmlingen entgegen. Sie spürte ihre Anspannung. Tedus hatte sie hier im Dorf zurückgelassen, damit Lilya sich an das Leben in der Wüste gewöhnteund die Sprache der Wüstenleute lernte, bevor sie sich auf die beschwerliche Reise mit der Karawane begeben musste. »In den Bergen spricht kaum jemand Sardara«, hatte die Wüstenfrau ihr erklärt. »Und ich werde nicht die ganze Zeit bei dir sein können. Es ist besser, wenn du dich ein wenig an uns gewöhnst, bevor du dem Drachen gegenübertrittst.«
Sie hatte versucht, Tidar nach dem Drachen zu fragen, aber die junge Frau hatte nur gelächelt und die Achseln gezuckt. »Der Drache ist der Vater der Freien«, war das Einzige, was sie dazu sagen konnte oder wollte. Die »Freien« ‒ so nannte sich das Wüstenvolk selbst.
Ein ganzer Schwarm von schwatzenden Dorfkindern begleitete nun die geduldig dahintrottenden Lasttiere zum Dorfplatz. Der Karawanenführer hatte zwei strahlende Mädchen auf das vorderste Kamel gesetzt und winkte Lilya zu, als er an ihr vorbeikam. Sie neigte grüßend den Kopf. Ihr Blick fuhr an den vorüberschaukelnden Tieren entlang. Sie rochen streng nach Dung und zottigem Fell.
»Lilya«, hörte sie eine Stimme rufen. Tedus war es, die wie eine Königin in ihrem hölzernen Sattel thronte. Sie winkte Lilya zu und lachte mit weiß blitzenden Zähnen.
Lilya ging neben dem Kamel her und blinzelte zu Tedus auf. »Willkommen zu Hause«, sagte sie, sorgfältig akzentuierend. »Hattest du eine gute Reise?«
Tedus klatschte vergnügt in die Hände. »Du klingst wie ein Kind der Freien«, rief sie. »Das ist gut, kleine Drachenschwester. Wir werden in Kürze wieder aufbrechen, und dieses Mal nehmen wir dich mit!«
Sie richtete sich im Sattel auf und rief: »Gwasila!«
Der falkengesichtige Mann löste sich aus der Gruppe von Jungen, die ihn umringten und auf ihn einschwatzten, und kam an Lilyas Seite. »Lilya Banu«, grüßte er mit seinem charakteristischen Lächeln, das nur die Augen betraf.
»Gwasila Agha«, erwiderte sie ernsthaft und neigte den Kopf.
Tedus lachte. »Gwasila«, sagte sie, »lauf und sag den Ältesten, dass wir gleich ins Versammlungshaus kommen.«
Der Wüstenmann legte die Hände vor der Stirn zusammen und ging schnellen Schrittes davon. Seine weiten Kleider flatterten im auffrischenden Wind.
Lilya sah ihm nach. Es erstaunte sie immer noch, dass der aristokratisch wirkende Gwasila, den alle mit solcher Hochachtung behandelten, sich von Tedus herumkommandieren ließ wie ein Dienstbote.
Sie waren auf dem Dorfplatz angelangt und die Kamele ließen sich schreiend und schnaubend zu Boden sinken. Ein großes Getriebe setzte ein ‒ die Lastkamele wurden entladen, die Reitkamele abgesattelt, die ersten Tiere zur Weide geführt. Schwatzen und Lachen schallten über den Platz, Frauen liefen mit Tee und Wasser herbei, andere brachten Brot und Töpfe mit gekochter Hirse; unter den struppigen Bäumen wurde ein Festmahl improvisiert.
Lilya stand ein wenig verloren herum, während Tedus ihre Tochter begrüßte und mit ihrer Enkelin auf dem Arm mit einem alten Mann sprach, der auf seinen Stock gestützt herbeigehumpelt war.
Sie schrak zusammen, denn Gwasila war lautlos herangekommen und stand neben ihr. »Ist es dir gut ergangen?«, fragte er höflich.
»Alle waren sehr nett zu mir«, erwiderte Lilya.
»Das ist gut. Du kommst mit uns, sagt Tedus.«
Lilya nickte. »Ich war noch nie so weit weg von ...«, begann sie und zuckte dann mit den Schultern. »Es ist gleichgültig. Ich bin keine Sardari mehr.«
Seine Hand berührte mit einer beruhigenden Geste ihre Schulter. »Du bist eine Freie. Das ist viel besser.« Seine schwarzen Augen lächelten.
»Noch fühle ich mich nicht so.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und ich weiß nicht, ob ich es glauben soll. Es gibt dunkle Sardar und helle Wüstenleute ‒ Freie. Warum soll ich nicht eine ...« Sie unterbrach sich und schüttelte ärgerlich den Kopf. Ihre Zeichnungen waren der Schlüssel. Tedus hatte es ihr erklärt. Nur Wüstenleute ‒ und nur eine kleine Anzahl von ihnen ‒ entwickelten diese Zeichnungen, wenn sie heranwuchsen. Tedus hatte allerdings keine Erklärung dafür gewusst, warum diese Zeichnungen bei Lilya so hässlich begonnen hatten, mit Narben und unter Schmerzen. Das schien nicht die normale Art und Weise zu sein, wie so etwas entstand.
Lilya hatte mehr als einmal Tidars Tochter gebadet und gewickelt. Die
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