ePub: Drachenhaut (German Edition)
Wüstenmädchen«, hatte er gesagt. Und dann hatte er ihr den Namen eines Kaufmanns genannt, Zubin, der mit dem Wüstenvolk Handel trieb und ihr sicherlich helfen würde, wenn sie ihm sagte, dass der Obersteunuch sie zu ihm geschickt hatte.
Lilya hatte sich wütend und aufgewühlt auf das Strohlager geworfen, das er ihr überlassen hatte, und sich die Hände vor die Ohren gelegt, damit sie seine Worte nicht mehr hören musste. Aspantaman hatte kopfschüttelnd geschwiegen, aber seine Worte hallten seitdem in ihrem Kopf: »Du bist ein Wüstenmädchen.«
Und wegen dieser Worte stand sie jetzt hier vor dem Tor, das in das labyrinthische Dunkel des Magierquartiers führte. Hier waren all die Tätowierten, vor denen sie sich so gefürchtet hatte, wie die alte Frau, die ihr solch einen Schrecken eingejagt hatte. Hier zeigten die Wüstenleute ihre dunklen Gesichter, die sich sonst in der Stadt hinter einem Schleier versteckten und eng an die Hauswände drückten ‒ wie sie. Wie Lilya Banu, die Enkelin des Begs Kobad.
Sie biss sich auf die Lippe, um ihre Tränen zurückzuhalten, und trat durch das Tor.
Sie hatte einen anderen Eingang gewählt als bei ihrem letzten Besuch. Viel zu groß war ihre Sorge, sie könne Kobad oder einem Bekannten ihres Großvaters über den Weg laufen. Natürlichwar es unwahrscheinlich, dass sie überhaupt jemand erkennen würde, so, wie sie jetzt gekleidet war, aber sie wollte ganz und gar sichergehen.
Sie hatte auch darüber nachgedacht, wieder nach Hause zu gehen. Lange, einsame Stunden hatte sie auf dem Hocker in Aspantamans Zimmerchen gesessen oder auf seinem Strohlager gelegen und gelauscht, wie draußen jemand vorbeiging, Stimmen schimpften und lachten, in der Ferne Geschirr klapperte, jemand sang, ein Besen über Steine kratzte oder Pferde wieherten. Sie war allein mit sich, ohne ein Buch, um sich abzulenken, oder die Möglichkeit, ihre Gedanken aufzuschreiben und sie dadurch ein wenig zu ordnen. Zurück nach Hause? Sie musste ja nur eine Geschichte erfinden, die sie Kobad erzählen konnte. Den Dämon, der sie gelenkt hatte wie eine Marionette, hatte Der Naga vertrieben, aber das wusste Kobad nicht. Sie könnte ihm ja erzählen, dass der Dämon sie aus Massinissas Gemächern geführt habe, bevor der Prinz sie fressen konnte.
Natürlich würde Kobad ihr das nicht glauben. Und selbst wenn ‒ er würde es erneut versuchen. Er würde sie ein zweites Mal dem Pantherprinzen zum Fraß vorwerfen und hoffen, dass der Fluch dadurch gelöst würde. Lilya schauderte. Sie wusste, dass es funktionieren würde. Warum sie das wusste, konnte sie nicht sagen. Massinissa wäre frei und könnte fortan sein Leben als ganz normaler Mensch leben.
Sie schüttelte die düsteren Gedanken ab und sah sich um. In diesem Teil des Basars herrschte auch um diese Tageszeit lebhafter Verkehr. Sie hatte gehofft, hier auf einen Wüstenmenschen zu stoßen und ihn um Hilfe zu bitten ‒ aber in den Gewölben und vor den Buden standen und flanierten ausschließlich hellhäutigeSardar, priesen Waren an und feilschten, schwatzten, handelten, riefen von Gewölbe zu Gewölbe, trugen Lasten oder warteten an einer Garküche auf eine Mahlzeit. In den Buden und Auslagen der Gewölbe lag vielerlei nützliches Zeug, aber vor allem billiger magischer Tand und alltägliche kleine Zaubergegenstände und Amulette ‒ gegen böse Geister und Krankheiten der Tiere, Schutzrunen und Abwehrzauber, Talismane und harmlose Tränke. ›Küchenzauber‹ pflegte ihr Großvater diese Art von magischem Werk abfällig zu nennen.
Lilya arbeitete sich weiter ins Innere des Basars vor. Weniger Menschen, größere Dunkelheit. In den Gewölben schimmerte nun immer öfter das magische Licht von Zauberlampen und Kraftkristallen. Hier und da roch es nach den schwefligen Ausdünstungen bestimmter Beschwörungen, die machtvollere Magie begleiteten.
»He, Mädchen.«
Lilya drehte sich nicht um. Sie hörte, wie Schritte ihr folgten. Die Männerstimme wiederholte: »He, Mädchen. Du da, Hübsche. Suchst du nach jemandem? Vielleicht sogar nach mir?« Das Lachen, das diesen Worten folgte, ließ Lilya ihre Schritte beschleunigen. Sie presste die Lippen zusammen und suchte nach einer Möglichkeit, den zudringlichen Kerl abzuschütteln.
Dann war er an ihrer Seite, griff nach ihrem Arm.
»Was soll das«, rief sie und riss sich los. Sie sah sich um, ob jemand in der Nähe war, den sie um Hilfe bitten konnte, aber dies war eine dunkle, unübersichtliche Ecke des
Weitere Kostenlose Bücher