ePub: Drachenhaut (German Edition)
sie.
»Ich bin wie du«, bestätigte Tedus. Sie lehnte sich zurück und verschränkte die runden Arme unter den Brüsten. Sie lachte mit weißen Zähnen. »Wir sind Drachen, kleine Schwester. Und wir sitzen hier bequem mitten im Lager der Drachentöter.«
S TURMZAUBER
Es fiel ihr immer noch schwer, das Dorf als ihr neues Zuhause zu betrachten. Es war so ganz anders als alles, was sie bisher gekannt hatte.
Sie war zum Rand des Dorfplatzes gegangen, am Brunnen vorbei, durch das kleine, stachlige Gebüsch, das die Dorfbewohner hartnäckig »Wäldchen« nannten, hatte sich von einem mageren Köter anbellen und von drei nicht weniger knochigen Ziegen verfolgen lassen.
Nun hockte sie im Schatten eines windgebeugten Baumes mit spitzen, harten Blättern und starrte über die sonnenflimmernde, steinige Ebene. Sie vermisste das sanfte Grün der Gärten, den Duft der blühenden Granatapfelbäume, das schmeichelnde Geräusch fließenden Wassers. Hier war alles nur staubig grün und erdbraun, knochenfarben und sandgetönt, rötlich und bräunlich und gelblich, grau und farblos. Keine reinen Farbtöne, kein erholsames Grün für die Augen, kein süßer Duft für die Nase. Scharfer, kalter Wind des Nachts, der nach Frost und Winter roch, und tiefschwarzer, sternenglänzender Nachthimmel; Hitze, glutweißer Sonnenglast und staubig trockener Feuerodem am Tag. Und Staub. Steine und Staub und Sand, magere Hunde,magere Ziegen, magere Hühner, dazu magere Kinder und magere Pflanzen.
Lilya legte das Kinn auf die Knie. Sie hatte Heimweh. Es war so stark, dass sie sogar die Daevas ihres Großvaters in Kauf nehmen würde, wenn er jetzt und hier vor ihr stünde, um sie nach Hause zu holen.
»Nein, würdest du nicht«, sagte sie laut und schob das Schultertuch zurecht, damit es sie vor der Sonne schützte. In den weiten Gewändern der Wüstenleute hatte sie sich zuerst unwohl gefühlt, aber mittlerweile dachte sie schon gar nicht mehr darüber nach, wenn sie einen herabhängenden Stoffzipfel mit einer beiläufigen Armbewegung wieder an seinen Platz warf oder sich mit zwei Fingern den schützenden Schleier vor Nase und Mund zog, wenn wieder eine Staubwolke durch das Dorf geweht wurde.
Sie hörte das Geschrei, ehe sie die Tiere hinter der kleinen Hügelkette auftauchen sah. Die Karawane kehrte zurück. Lilya hatte weder Gwasila noch Tedus zu Gesicht bekommen, seit die beiden sie hier in dieses namenlose Dorf gebracht hatten. Eigentlich hätte sie später mit ihnen weiterreisen sollen bis zu den Bergen, die sie von hier aus als blasse Schemen am Horizont erkennen konnte, aber dann war eine Botschaft des Mannes gekommen, den sie nur »der Drache« nannten ‒ er schien keinen Namen zu haben ‒, und die beiden waren wenig später mit der Karawane abgereist.
»Wir holen dich hier wieder ab«, hatte Tedus ihr versprochen. »Du bleibst solange bei meiner Tochter Tidar. Sie wird sich gut um dich kümmern, kleine Schwester.«
Tidar war eine kleine Frau mit lustigen Augen und einem ebenso lauten Lachen wie ihre Mutter. Es stimmte, sie kümmerte sich gut um Lilya, und Lilya mochte sie gut leiden. Aber dennoch wurde ihr der Aufenthalt hier in der Wüste, unter den Wüstenmenschen, die ihr so fremd waren, mit jedem verstreichenden Tag saurer.
Mehr denn je zuvor vermisste sie Yanis Gesellschaft. Insgeheim hatte sie gehofft, ihn hier in der Wüste wiederzusehen. Das Dorf, aus dem er stammte, lag nur zwei oder drei Tagesreisen weit entfernt. Vor einigen Wochen hatte eine Karawane aus ihrem Dorf dort haltgemacht und Nachrichten mitgebracht. Lilya hatte natürlich nach Yani gefragt, aber er schien nicht mehr in seinem Dorf zu wohnen. Es gab Gerüchte, dass er sich einer Bande von Strauchdieben und Wegelagerern angeschlossen habe; ein anderes Gerücht besagte, er ziehe mit einer Gruppe von Freiheitskämpfern gegen die Soldaten des Shâyas. Beides klang nicht sehr wahrscheinlich, wie sie Yani kannte. Viel eher war ihm in seinem Dorf langweilig geworden und er war in die Stadt zurückgekehrt. Viele Wüstenleute lebten dort ein ärmliches Leben als Bettler und Handlanger.
Lilya seufzte und beschattete ihre Augen. Die Karawane kam in Sicht. Die großen, tellerfüßigen Kamele überquerten gemessenen Schrittes den Hügelkamm und schaukelten langsam auf das Dorf zu.
Aus dem Dorf waren Rufe zu hören. Schrille Kinderstimmen, dann tiefe Antworten. Ein paar halbwüchsige Jungen rannten mit staubaufwirbelnden Schritten auf die Karawane zu und schwenkten
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