ePub: Drachenhaut (German Edition)
Mit einer blitzschnellen Bewegung wechselte er in seine wahre Gestalt, und ein großer, gefleckter Leopard kauerte geduckt vor Lilya. Er riss das Maul auf und fauchte sie an.
Lilya lächelte unwillkürlich. Sie kniete vor ihm nieder und breitete die Arme aus. »Ich fürchte mich nicht vor dir«, sagte sie. »Du bist ein Rakshasa. Du bist kein Feind der Freien. Und du bist nicht rasend vor Unglück wie Amayyas, der nur deshalb ein Werpanther ist, weil Der Naga ihn verflucht hat.« Sie verstummte, weil eine Erinnerung wie ein Traumbild in ihr erwachte. Sie lief über die Steppe, mit weiten Sprüngen, und neben ihr lief mit geschmeidigen Bewegungen ein Leopard. »Seelenbruder«, flüsterte sie.
Die Spannung wich aus den zum Sprung bereiten Muskeln des Leoparden. Er schüttelte sich verblüfft, und wieder stand Aghilas in seiner Menschengestalt vor ihr. Er streckte seine Hand aus und Lilya ergriff sie. Trocken und warm schlossen sich seine Finger um ihre Hand. »Du bist also meine Schwester?«, fragte der Leopardenmann. Verblüffung und ein Rest von Misstrauen waren in seinem gefleckten Gesicht zu lesen.
»Ich weiß es nicht«, sagte Lilya und hob hilflos die Schultern.»Ich habe so viele Lügen über mich und meine Eltern gehört, dass ich nicht mehr erkennen kann, was die Wahrheit ist und was nicht.« Aber du bist mein Seelenbruder , flüsterte eine Stimme in ihrem Inneren.
Endlich. Endlich hatte sie ihn gefunden.
»Wenn ich etwas bemerken dürfte«, sagte der Drache. Die beiden Menschen und der Leopardenmann blickten zu ihm auf. Er breitete in einer nachlässigen Bewegung seine Schwingen aus und fuhr fort: »Ich möchte, dass dieses kleine Familientreffen ohne weitere Förmlichkeiten abläuft. Tedus, vergiss bitte für einen Moment, dass ich dein König bin, und du, Lilya, dass du mich als Den Naga kennst. Jetzt und hier bin ich der Drache, euer Vater und Großvater.«
Lilya konnte nicht anders, sie lachte, so absurd erschien ihr die Vorstellung, einen leibhaftigen Drachen ‒ oder Schlangengott? ‒ zum Großvater zu haben. Aber war es wirklich absurder als der Gedanke, ihr eigener Großvater habe sie einem Werpanther zum Fraß vorwerfen wollen? Sie hob das Kinn und sah dem Drachen in die Augen. »Und wer ist Kobad?«
»Wer ist Kobad?«, fragte der Drache verblüfft zurück. Er senkte die Lider, öffnete sie wieder und fuhr fort: »Ach, du sprichst von diesem drittklassigen, daevabesessenen Magush, der dich gekauft und großgezogen hat? Vergiss ihn.«
Lilya schnappte nach Luft. »Vergiss ihn«, wiederholte sie. »Das klingt nach dem ersten guten Rat aus deinem Mund, Nag... Drache.« Sie verschränkte schützend die Arme. »Das ist alles ein bisschen viel auf einmal«, sagte sie, um Fassung bemüht. »Ich träume das doch nur, oder? Ich träume oft so seltsame Dinge.Bestimmt werde ich gleich wach und Ajja bringt mir mein Frühstück.«
Tedus, die nicht weniger geschockt aussah, als Lilya sich fühlte, nahm stumm ihre Hand und drückte sie.
Der Leopardenmann strich sich mit einer fahrigen Bewegung über den Kopf. »Drache«, sagte er, »du musst mir einiges erklären. Du hast immer behauptet, dass du nichts über Agerzams Schicksal weißt.«
Der Drache neigte beschämt den Kopf. »Ich habe gelogen, Aghilas.«
»Sagte ich es nicht?«, flüsterte Lilya.
Der Drache warf ihr einen schrägen Blick zu. »Lass mich ausreden«, sagte er grollend. »Ich habe gelogen, weil ich nicht genau wusste, was geschehen ist. Ich habe gewusst, dass meine Tochter getötet wurde ‒ wie ich um jedes Unglück in dem Moment weiß, in dem es einem meiner Familienmitglieder zustößt. Aber ich habe nicht herausfinden können, was mit Agerzam, meinem Freund, geschehen ist. Du bist die einzige lebende Zeugin, Lilya.« Er richtete sich hoch auf und Feuer umspielte seinen Kopf. »Ich habe die Mörder meiner Tochter gejagt und getötet. Aber derjenige, der für all die Morde an meinem Volk verantwortlich ist, läuft noch immer herum und brüstet sich mit seinen Trophäen. Shâya Faridun, der König von Gashtaham!«
Der Schrei des Drachen hallte so laut von den steinernen Wänden wider, dass er Lilyas Trommelfelle zu zerfetzen drohte. Sie presste die Hände vor die Ohren und öffnete den Mund, um Angst, Wut und Trauer im Chor mit dem Drachen hinauszuschreien.
»Deshalb hast du den Prinzen verflucht«, sagte sie atemlos, alswieder Stille eingekehrt war. »Armer Amayyas. Er kann doch nichts dazu.«
Der Drache lachte, und es war kein
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