ePub: Drachenhaut (German Edition)
dunkelroten Stein bestand wie die Säulen. Ihre Schritte hallten laut durch die Stille. Irgendwo flatterten ledrige Flügel, und Lilya meinte, die flinken Schatten von Fledermäusen zwischen den Säulen erkennen zu können.
Zwischen den Säulen tauchte eine Empore auf, zu der Stufen hinaufführten. Oben auf dem Podest stand ein thronähnlicherAufbau ‒ viel zu hoch und zu breit für eine menschliche Gestalt. Dunkelheit hing über dem Sitz und machte es unmöglich, zu erkennen, ob jemand darauf saß.
Tedus blieb stehen und bedeutete Lilya, das Gleiche zu tun. Beide warteten.
»Worauf ...«, begann Lilya nach einer Zeit, die ihr wie eine halbe Ewigkeit erschien, aber Tedus legte nur den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
Lilya seufzte und verschränkte die Arme. Das Abendlicht verdämmerte, die Schatten krochen immer weiter in den Raum hinein und erreichten die Stelle, an der sie standen und warteten.
Flüsterleise Schritte schreckten Lilya auf. Ein Mann trat aus der Dunkelheit und sah sie mit wilden, gelben Augen an. Seine Haut erschien seltsam scheckig, sein Haar war blond und dunkel zugleich und glänzte wie Fell. Er lächelte, wobei er spitze Zähne entblößte, und sagte mit samtweicher Stimme: »Tedus Drachentochter. Sei gegrüßt.«
Tedus neigte den Kopf. »Ehrenwerter Aghilas, ich freue mich, dich zu sehen. Was führt dich hierher?«
Der Mann trat näher und Lilya bewunderte seine geschmeidigen Bewegungen. Er trug ein knielanges, ärmelloses Gewand, das ihr viel zu dünn erschien für die Kälte, die in diesen Mauern herrschte, aber er schien nicht zu frieren. Jetzt aus der Nähe sah sie deutlich, dass seine muskulösen Arme und Beine wahrhaftig gefleckt waren wie das Fell eines Leoparden. Sie sah in seine Augen und schluckte. »Rakshasa«, flüsterte sie. Das musste einer dieser sagenhaften Leoparden sein, die über die Gabe verfügten, auch menschliche Gestalt annehmen zu können.
Der Mann schien über ein erstaunliches Gehör zu verfügen.Seine Augen verengten sich, er lächelte Lilya an. »Sehr richtig, Drachenmädchen. Und wer bist du? Eine Schwester meiner Freundin hier?«
Tedus lachte herzhaft und legte Lilya eine beruhigende Hand auf die Schulter. »Schwester ‒ du Charmeur! Nein, sie ist mein Lehrling.«
Der Leopardenmensch musterte Lilya. Seine geschlitzten Pupillen verengten und weiteten sich in schnellem Rhythmus. »Sie sieht nicht aus wie jemand aus deinem Dorf«, sagte er.
Tedus erwiderte nichts darauf. »Was führt dich hierher?«, wiederholte sie stattdessen ihre Frage.
Der Rakshasa hob anmutig die Schultern. »Die alte Schlange hat mich herbestellt«, sagte er leichthin. Lilya lief ein Schauder über den Rücken. Schlange?
»Respektlos wie immer, Aghilas«, sagte eine tiefe Stimme.
Über dem Thronsitz schimmerte ein rötlicher Lichtschein, der zuvor nicht da gewesen war. Er hob die Umrisse einer Kreatur hervor, deren wuchtige Ausmaße den gigantischen Thron und die riesengroße Halle zu Spielzeuggröße zusammenschnurren ließen. Lilya fühlte sich plötzlich so winzig wie eine Maus, die vor einem Löwen kauert.
Der Drache blickte reglos auf sie hinab. Seine großen, schwerlidrigen Augen glichen Feueropalen. Seine Haut schimmerte im Licht des Feuers, das aus seinen Nüstern spielte, wie Pfauenfedern und Schmetterlingsflügel.
Lilya bemerkte, dass sie den Atem anhielt. Sie hatte mit Furcht oder Abscheu gerechnet, aber was sie empfand, war nichts als Staunen und Ehrfurcht.
»Tedus, meine Tochter«, sagte der Drache mit einer Stimme,die wie ein tiefer Gong klang. »Du bringst mir deinen Schützling.«
»Ich bringe dir Lilya«, erwiderte Tedus förmlich und verneigte sich.
Die funkelnden Augen des Drachen richteten sich auf Lilya. Er senkte den Kopf, um ihr gerade in die Augen zu blicken. »Sei mir gegrüßt, Enkeltochter.«
Lilyas Mund klappte auf. Sie sagte: »Ah«, und verstummte, während sich in ihrem Kopf die Gedanken überschlugen. Dann räusperte sie sich und sagte: »Du bist schon der Dritte, der mich so bezeichnet. Ich habe Großväter genug und ich kann gut auf einen weiteren verzichten, danke schön.«
Sie bemerkte, dass Tedus nach Luft schnappte und ihre Hand ausstreckte, um sie an weiteren Worten zu hindern. Der Drache hob ruckartig den Kopf und ein Feuerstoß schoss aus seinen Nüstern. Funken regneten auf Lilya hinab. Sie zog den Kopf ein, erwartete einen zweiten Feuerstrahl, der sie in Flammen setzen würde, und fragte sich, was sie geritten
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