ePub: Drachenhaut (German Edition)
meines Rudels wurden in der Vergangenheit getötet. Die Jäger jagen nicht nur euch Drachen, Lilya.«
»Und das macht dich nicht traurig?«
Er entblößte seine Zähne, die scharf und weiß waren. »Das macht mich zornig«, sagte er. »Sehr zornig. Ich möchte die Jäger töten. Und ganz besonders möchte ich den König der Jäger töten. Ich möchte ihn jagen, zur Strecke bringen, zerfleischen. Ich wünsche mir, dass er schreit und sein Blut meine Zunge netzt. Das alles möchte ich, kleine Schwester.«
Sie schauderte. »Er hat mächtige Feinde, der Shâya«, sagte sie.
Der Rakshasa nickte gleichmütig. »Deshalb wagt er es auch nicht, ohne seine Soldaten die Stadt zu verlassen. Wenn er sich mit seiner Jagd in die Wüste begibt, zittert sein Herz. Der Tag wird kommen, an dem es mir gelingen wird, ihn von seinen Soldaten zu trennen. Und dann werde ich ihn töten.«
»Du ‒ oder der Drache«, murmelte Lilya.
Aghilas verschwand so plötzlich und lautlos, wie er gekommen war. Lilya schwankte vor Müdigkeit.
»Yani«, flüsterte sie, »wo bist du? Ich brauche jemanden zum Reden.«
Aber der Nachtwind brachte keine Antwort, die Mauern der Zuflucht schwiegen und die Sterne am Himmel sandten stumm, kalt und gleichgültig ihr Licht herab. Wo auch immer Yani sein mochte, wenn er denn noch lebte ‒ er konnte sie nicht hören.
Sie schlief unruhig und erwachte vor der Morgendämmerung. Nebel lag über der Zuflucht und dämpfte die Geräusche und Stimmen, die von draußen in ihre Kammer drangen. Sie hörte die dumpfen Schritte, Kamellaute und Rufe, all die charakteristischen Geräusche, die eine Karawane begleiteten, und sprang von ihrem Lager auf. Neugierig, die Ankömmlinge zu sehen, warf sie sich rasch ihre Kleider über und lief hinaus.
Der Nebel lag dicht, feucht und kalt zwischen den Häusern. Lilya hüllte sich in ihre dicke Jacke und lief den zwischen den Häusern hallenden Geräuschen nach. Einige Straßen weiter öffnete sich ein zweiter Platz, auf dem die Karawane haltmachte.
Lilya stand am Rande des Platzes, die Hände tief in die wärmende Wolle ihrer Ärmel geschoben, und beobachtete das Treiben. So viele Wüstenleute, ein paar von ihnen mit den Malen der Drachenhaut, und sie alle waren Fremde. Lilya fröstelte in der klammen Nebelluft. Was hatte sie erwartet? Irgendwo zwischen den Männern, Frauen und Kindern das Gesicht ihrer Mutter zu sehen, die Stimme ihres Vaters zu hören? Sie schalt sich eine dumme, alberne Närrin und wandte sich heftig ab, um in ihre Kammer zurückzukehren.
»Lilya?«, hörte sie eine Stimme ihren Namen rufen. Ungläubig. Unsicher. »Lilya Banu ‒ bist du es?« Die Stimme eines jungen Mannes, noch ein wenig heiser vom Stimmbruch, aber schon mit der Tiefe, die eine Männerstimme daraus machte.
Lilya sah sich suchend um. Wer von all diesen dunkelhäutigen Fremden kannte ihren Namen?
Ihr Blick fiel auf lockiges Haar und karamellbraune Augen, die sie aus einem bärtigen Gesicht ansahen. Der junge Mann hatte lange Beine und breite Schultern, von denen in weichen Falten ein dunkelblauer Mantel fiel. Lilya brauchte einige Sekunden, bis sie ihn erkannte, so sehr hatte er sich verändert. Gestern noch hatte sie an ihn gedacht, aber in ihrer Erinnerung war er immer noch ein halbwüchsiger Junge.
»Yani?«, sagte sie nicht weniger ungläubig als er. »Yani, bist du das wirklich?«
Ein Lachen ließ sein Gesicht aufleuchten, und jetzt erkannte sie trotz des ungewohnten Bartes und der kantiger gewordenen Linien den Yani wieder, mit dem sie sich hinter dem Abfall im Küchenhof getroffen hatte, mit dem sie auf ihrem Bett gehockt und Bücher gelesen und geflüstert und gelacht hatte.
»Lilya, du bist ja doch eine Freie«, rief er und streckte beide Hände aus. Sie ergriff sie und erwiderte den festen Druck.
»Es scheint so«, erwiderte sie. »Oh, ich freue mich so. Ich habe deinen Brief bekommen, dass du den Wachen entkommen bist, dass du lebst!«
Ihr Lachen erstarb und sie sah ihn erschreckt an. »Du hast mir nicht geschrieben, ob du ‒ geht es dir gut? Hast du noch ... bist du ... hat der Medicus ...« Sie hörte sich stammeln und verstummte verlegen. Ihr Gesicht glühte.
Yani zog die Brauen zusammen, was seinem erwachsen gewordenen Gesicht etwas Finsteres gab. »Der Medicus«, knurrte er. »Er hat sich doch sicher für seine Dienste vom Beg gut bezahlen lassen, oder?«
Lilya schrie leise auf. »Yani! Sag nicht, dass ich schuld daran bin, dass du nun ...«
Sein Lachen unterbrach
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