ePub: Juniper Berry
umherschweifenden Augen des Raben begrüßt. Er schlug wild mit den Flügeln und stieß ein durchdringendes Krächzen aus, das lauter war als sonst. Juniper betrachtete ihn eine Weile und fragte sich, ob das, was sie gleich tun würde, verrückt war oder nicht. Schließlich sagte sie: »Wir möchten eintreten. Bitte zeig uns, wie.«
Augenblicklich flog der Rabe von seinem Ast und setzte sich oben auf den Stamm. Es krächzte wieder, einmal in Junipers und einmal in Giles’ Richtung.
»Versucht er, uns etwas zu sagen?«, fragte Giles ungläubig. »Und sprichst du tatsächlich mit einem Raben?«
Juniper sah den Vogel aufmerksam an. In ihren Geschichten tauchten ständig sprechende Tiere auf, und die echte Welt war genauso fantastisch wie jeder erdachte Ort. Die Wirklichkeit überraschte sie immer wieder, warum also sollte es diesmal anders sein? »Wie finden wir den Eingang?«, fragte sie noch einmal.
Der Rabe krächzte und pickte mit dem Schnabel mehrmals gegen den Baum.
»Dort?«, fragte Juniper. An der Stelle war keine Kerbe, keine Beule, kein Knoten oder Kratzer. Sie sah genauso aus wie der restliche Baum. Juniper zog ihre Lupe hervor und untersuchte den Stamm. Und es gab tatsächlich ein Zeichen. Es war sehr unauffällig, sodass man es schnell übersah, nur eine leichte Farbveränderung, als hätte der Baum vor langer Zeit einmal geblutet und es wäre eine Narbe zurückgeblieben. Kein Wunder, dass sie es bei ihrer ersten Untersuchung nicht bemerkt hatte. »Dort?«, fragte Juniper noch einmal und zeigte auf die Stelle.
Der Rabe krächzte und schien wieder zu nicken.
»Kann er uns verstehen?«, fragte Giles.
»Das werden wir jetzt herausfinden«, antwortete Juniper.
Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass Dimitri nicht in Sichtweite war, atmete Juniper einmal tief durch, schluckte die Angst hinunter, die in ihr aufstieg, legte den Finger auf die Stelle und drückte.
Ein ungewöhnliches Geräusch ertönte. Es klang, als würde der Baum mit knarrender Stimme sprechen. Der Boden bebte leicht, der Rabe schlug mit den Flügeln, und doch schien sich nichts verändert zu haben. Ratlos fuhr Juniper fort, den Baum zu beobachten, und wartete darauf, dass sich etwas tat. Irgendetwas war geschehen, so viel war sicher.
Giles, der hinter dem Baum stand, sog überrascht die Luft ein und starrte mit offenem Mund zu Boden.
Juniper folgte seinem verblüfften Blick. Am Fuß des Baumes klaffte ein Loch, das sich wie ein schwarzer Mund im Boden auftat.
»Stufen«, murmelte Giles.
Juniper beugte sich über das Loch und spähte hinein. »Es ist zu dunkel. Sieht so aus, als würde eine Wendeltreppe hinabführen, aber ich kann nur die ersten Stufen erkennen.«
»Sollen … sollen wir da hinuntergehen?«
Als hätte er die Frage verstanden, erhob sich der Rabe in die Luft, sauste an ihren Köpfen vorbei und verschwand mit einem hallenden Krächzen in dem dunklen Loch, als wollte er sie auffordern, ihm zu folgen.
Juniper sah zu Giles. »Ja. Wir gehen runter.«
Sie setzte den Fuß auf die erste rissige Stufe, und ein unangenehmer Kälteschauer kroch erst ihre Knöchel und dann den ganzen Körper hinauf. Ihr wurde eiskalt.
Sie duckte sich, atmete tief ein und machte den ersten Schritt in die Tiefe, dann den zweiten. Sie hielt sich an den Erdwänden fest, um das Gleichgewicht und die Orientierung nicht zu verlieren. Große Insekten krochen über ihre Füße und Hände. Spinnweben hingen wie Wolken an den Wänden. »Lass mich jetzt nicht allein, Giles.«
»Ich bin direkt hinter dir.« Er legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter. Juniper wurde warm bei der Berührung und sie griff nach seiner Hand.
Langsam gingen die beiden Freunde weiter, ohne die Stufen vor sich sehen zu können. Das Licht von draußen erlosch so schnell, als hätte jemand die Sonne ausgeknipst. Sie wussten nicht, wie lange der Abstieg dauerte, aber es schienen Stunden zu vergehen. Juniper kam es so vor, als wäre die Zeit stehen geblieben oder hätte sich zu etwas unermesslich Großem ausgedehnt. Vielleicht gab es hier unten keine Zeit.
»Was, wenn die Stufen niemals enden?«, fragte Giles. »Was, wenn wir hier nie wieder rauskommen?«
Juniper hatte dieselben Befürchtungen, doch dann fiel ihr etwas ein. »Unsere Eltern sind wieder herausgekommen. Und wir schaffen das auch.« Aber glaubte sie das wirklich? Wie konnte sie sicher sein, dass die zwei Menschen, die letzte Nacht aus dem Wald zurückgekehrt waren, dieselben waren wie vor vielen
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