ePub: Juniper Berry
haben mich wie ihren eigenen Sohn behandelt. Aber das ist lange her, als sie noch andere Menschen waren.«
»Ich habe die beiden gesehen«, sagte Juniper. »Vor einer knappen Stunde. Ich bin meinen Eltern unter den Baum gefolgt und sie kamen kurz danach.«
»Mir hätte es genauso ergehen können«, sagte Giles benommen. »Ich habe die Veränderungen schon gespürt. Aber sie waren so schwach, dass ich sie kaum wahrgenommen habe. Es ist, als wenn du etwas vergisst, doch du weißt nicht mehr, was oder ob es wichtig war. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich wollte es nur noch ein paar Mal machen und aufhören, bevor es richtig schlimm wird.«
»Giles, du hattest es nie nötig, irgendetwas an dir zu ändern.«
»Aber ich habe immer gedacht, ich müsste es. Wenn du mit mir zur Schule gegangen wärst, hättest du mich auch nicht gemocht. Ganz sicher. Du hättest dich mit den anderen zusammengetan. Du weißt nicht, wie das ist. Du bist ein hübsches Mädchen. Das ändert einiges. Statt mit mir zu reden, hättest du mit deinen Freundinnen herumgekichert und dabei abschätzige Blicke in meine Richtung geworfen. Du hättest die Jungs gemocht, die mich verprügelt haben. Wenn wir zusammen zur Schule gegangen wären, hätte ich mir gewünscht, dass du mich magst. Aber du hättest dir das nicht gewünscht.«
»Ich mag dich jetzt. Ich mag alles an dir. In der Schule wäre es auch nicht anders. Nichts wäre dort anders. Ich würde immer noch selbst entscheiden, mit wem ich rede und mit wem nicht. Und ich möchte mit dir reden. Mit dem Giles, wie er war, als ich ihn kennengelernt habe.«
Giles sah ihr fest in die Augen. »Ehrlich?«
»Ja. Ich mag dich wirklich. Du hast mir in den letzten Tagen so sehr gefehlt.«
»Versprichst du, dass du es dir wirklich niemals anders überlegst?«
»Ich weiß, wer ich bin.«
»Du wirst mich nicht vergessen? Ehrlich?«
»Nein. Niemals.«
Ohne zu zögern, beugte sich Juniper zu ihm hinüber und schloss ihn noch einmal in die Arme. In ihrer Umarmung lag alles, was sie fühlte. All ihre Liebe und ihr Schmerz, ihr Kummer und ihre Verwirrung. Und zugleich spürte sie alles, was Giles fühlte. Schließlich seufzte Giles mit geschlossenen Augen: »Danke.«
Sie ließen einander los, und Juniper sah zu den Abernathys, die lang ausgestreckt auf dem Rasen lagen. Sie dachte an ihre Eltern, und Wut stieg in ihr auf. »Skeksyl darf nicht gewinnen, Giles. Wir werden dieser Sache ein Ende bereiten und alles wieder in Ordnung bringen.«
»Aber wie?«
Sie sah ihn entschlossen an. »Wir müssen diese Ballons zurückholen.«
Nachdem Juniper und Giles die Abernathys sicher ins Haus gebracht hatten, gingen sie durch den Wald zurück. Unterwegs erzählte Juniper von ihrer Begegnung mit Theodor und davon, dass die Ballons in Wirklichkeit kleine Teile der Seele eines Menschen raubten. Sie wussten, dass das, was sie vorhatten, nicht leicht werden würde. Aber sie mussten irgendwie an Skeksyl vorbeikommen, herausfinden, wohin die Halle hinter seinem Tisch führte, und hoffen, die Ballons zu finden. Es war kein besonders guter Plan, aber einen anderen hatten sie nicht.
Die Nacht war düster und feucht und an dem in dichte Nebelwolken gehüllten Himmel war kein einziger Stern zu sehen. Doch nach einer Weile tauchte der Baum aus der Dunkelheit auf. Juniper und Giles wussten, dass es um nicht weniger als ihre Zukunft und die ihrer Eltern ging. Schreckliche Vorahnungen ließen ihre Mägen rumoren.Über ihnen saß der Rabe Neptun unheilvoll auf seinem üblichen Zweig und wackelte mit dem Kopf, als würde er sich an ihrer Angst erfreuen. Wie immer hielten sich alle anderen Vögel fern.
Juniper fand das Zeichen auf dem Stamm, und die Treppe öffnete sich vor ihnen. »Bereit?«, fragte sie Giles.
»Nein.«
Juniper lächelte kurz, dann sah sie Giles fest an. »Ich auch nicht, aber diese Ballons werden nicht einfach von allein hier heraufschweben.« Sie machte einen Schritt nach vorn, dann hielt sie inne. Sie drehte sich zu Giles. »Ich bin froh, dass du bei mir bist. Ich könnte das nicht ohne dich tun.«
Er lächelte ihr schüchtern zu. »Und ich nicht ohne dich.«
Sie setzten ihre Füße auf die rissigen Stufen und stiegen noch einmal in die Unterwelt hinab, während Neptun an ihnen vorbeiflog und ihnen den Weg wies, der ihnen inzwischen viel zu vertraut war. Der Rabe krächzte unentwegt und Giles hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. »Hier unten haben seine Worte viel mehr Kraft«, erklärte er,
Weitere Kostenlose Bücher