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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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bewahre!, der Kapitän, fliegt ihr im nächsten Hafen von Bord.« Man konnte zusehen, wie sich, noch während er den Satz aussprach, eine Idee in ihm formte. »Würde euch ganz schön was an Heuer kosten, oder?« Und er grinste vielsagend.
    Kalkulierend.
    Ich grinste zurück. »Doktor Köthensieker«, raunte ich langsam, »macht beim Nähen ziemlich grobe Stiche.« Unsere Blicke trafen sich und wir grinsten gemeinsam noch ein bisschen weiter.
    »Wann kommt denn der nächste Hafen?«, mischte sich Jochen ein.
    »Morgen, Tromso«, lautete die Antwort, »aber ob und wen sie von uns an Land lassen, steht noch komplett in den Sternen. Hab was läuten hören von ‘ner Übung.«
    Übung? Jochen und ich schluckten trocken.
    »Doch falls es Landpässe gibt«, fügte Ratso nach einem raschen Blick links und rechts das Deck hinunter halblaut hinzu, »dann habe ich welche.« Er nickte verschwörerisch.
    »15A und 15B unverzüglich bei der Rezeption des A-Decks melden«, dröhnte es in impertinentem Tonfall aus dem Lautsprecher, gerade als wir uns auf den Weg machen wollten.
    »A-Deck«, kommentierte Ratso und schnalzte mit der Zunge. »Ihr Jungs kommt rum.« Ich nickte eilig, und Jochen und ich machten uns auf die - doch noch gefundenen - Socken. »Nur eins noch«, gab uns Ratso mit auf den Weg. »Ihr solltet vielleicht ein bisschen öfter lüften. Bei euch in der Kabine mufft es ja wie im Leichenschauhaus.«
    A-Deck. Nobility, mit anderen Worten. Es gab nur zwei Klassen an Bord: erste und, eben, Nobility. Wo das Ticket noch mal so viel kostete. Man kann natürlich unmöglich noch mal so viel essen oder trinken oder sich noch mal so viel Aussicht oder Seeluft reinziehen, also erwartet die Kundschaft der Nobility für das noch mal so viele Geld, das ihre Tickets gekosten haben, in erster Linie noch mal so viel Service.
    »Zwanzig Minuten«, stellte die belesebrillte Rezeptionistin mit einem langen Blick auf ihre Armbanduhr fest. »Seit geschlagenen zwanzig Minuten wartet der Gast in Suite 9 nun schon auf Ihr Erscheinen.« Sie war Mitte vierzig, mit schwarz gefärbten, straff zurückgezerrten Haaren, der harten, hageren Statur einer Eiskunstlauf-Trainerin und der Stimme eines Vogels. Eines Vogels mit langen, dünnen, stoppeligen Beinen.
    »Wir mussten auf dem B-Deck noch eben eine Bombe entschärfen«, sagte ich, mit großem Ernst.
    »Sie scheinen die Prioritäten hier an Bord noch nicht recht begriffen zu haben«, kanzelte sie mich ab und wies uns mit gerecktem Finger auf gestrecktem Arm brüsk die Richtung.
    Das A-Deck saß oben auf dem Schiff wie ein Penthouse und war aufgeteilt in neun Suiten. Nr. 1 war die vorderste, aber auch die bescheidenste, sie beherbergte den Kapitän. Die restlichen acht Luxuskabinen hatten Einheitsgröße. Rund die Hälfte wurde von den japanischen Herren in Beschlag genommen.
    Wir bogen um die Ecke und der Schlichte Gundolf von der Security stoppte uns.
    »Bordpässe«, forderte er mit wichtiger Miene.
    »Gundolf«, sagte ich zu ihm und versuchte, ihn beiseite zu drängen, »das hier ist eilig.« Gundolf mochte ja recht schlicht sein, gleichzeitig war er aber auch recht schwer und somit bei aller Schlichtheit recht schwer zu verdrängen.
    »Bordpässe«, wiederholte er mechanisch und legte mir die Hand auf die Brust.
    »Es geht hier um Leben und Tod«, knurrte Jochen, und Gundolf wiederholte sich noch mal, ohne auch nur die Stimme zu heben. »Bordpässe.«
    Fast die ganze Security-Truppe bestand aus solchen Typen, seien es Belgier, Briten, Franzosen, Deutsche, alle waren sie mehr oder weniger beschränkt und jeder Einzelne gedrillt wie ein Schäferhund. Kaum zu glauben, wie sich zwei so brillante Köpfe und schillernde Individualisten wie Jochen und ich in ihre Reihen hatten verirren können. Oder, so gesehen, sprechen wir lieber von einem brillanten Kopf und schillernden Individualisten. Ohne meinen verderblichen Einfluss hätte der andere sich sehr schnell und nahtlos in die tumbe Truppe integriert.
    Ich warf ihm einen Blick zu, dem anderen, wir streckten jeder erst ein Bein und dann einen Arm vor und Gundolf schlug der Länge nach dröhnend auf das Teakholzdeck. Anschließend zückten wir brav die Pässe, beugten uns vor, damit er sie inspizieren konnte, und mit einem Nicken ließ Gundolf uns passieren.
    »Euch krieg ich beide noch dran«, ächzte er uns hinterher, und noch während mir das Feixen im Gesicht hing, kam schon die Frage hoch, ob dies ein glücklicher Zeitpunkt war, es sich

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