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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dachte ich das Eis zu brechen. Und vielleicht das eine oder andere Herz zumindest, na ja, anzuknacken.
    Als ich fertig war, brandete Applaus, und Elena stand auf ihrem Stuhl und klatschte und winkte in anrührender Begeisterung. Ich zwinkerte ihr zu und verließ gemessenen Schrittes die Bühne. Runde eins hatte ich genommen, da war ich mir sicher. Und ich blickte nicht in Carlas Richtung, obwohl sie direkt neben Elena saß.
    Ein paar Sänger aus den Reihen der Passagiere dilettierten, manche mit gewagten Frisuren oder Hemden, dann kam Jochen, ebenfalls ganz in Weiß, Mütze auf dem Kopf, die er allerdings vor dem Mikro abnahm - was ein bisschen so wirkte, als ob er erst mal ein Gebet sprechen wollte -, und mit der er dann nicht so recht wusste, wohin.
    Ah, ich fühlte mich gut.
    Jochen hatte sich als ersten Song - der Wettbewerb ging nach dem K.-o.-Verfahren über maximal drei Runden - Fever ausgesucht, doch gerade den brauchte ich als meinen zweiten, deshalb hatte ich Scuzzi instruiert, stattdessen Teddy Bear aufzulegen, was Jochen nicht erwartete, nicht geübt hatte und mit einer Miene äußerster Verwirrung mehr schlecht als recht vom Teleprompter ablas.
    Ah, ich fühlte mich immer besser.
    Unfair? Ich? Vielleicht sollte ich hier mal erwähnen, was auf dem Spiel stand: Der Sieger des heutigen Abends gewann ein gemeinsames Kerzenlicht-Dinner im »Printemps«, dem kleinen, feinen Restaurant auf dem Nobility-Deck, und zwar in Gesellschaft von Carla Bayonne, dem Croupier, und dazu noch Spielchips im Wert von zweitausend Euro und eine private Unterweisung im Black Jack, ebenfalls von Carlas zarter Hand. So.
    Und Jochen brauchte sich echt nicht zu beschweren. Er war gut dran. Vergleichsweise. Mein ursprünglicher Plan war gewesen, ihn mit Abführpillen zu vergiften.
    »Jochen ist nicht halb so gut wie du«, flüsterte Elena in mein Ohr und drückte aufgeregt mein Knie.
    »Ich weiß«, antwortete ich gnädig.
    Trotzdem schaffte er es in die zweite Runde. Doch ich war unbesorgt.
    Der Alkohol floss reichlich, immer mehr Gäste wagten sich auf die Bühne, es würde ein zähes Ringen werden. Ich ging zwischendurch mal raus, um mich frisch zu machen, und kam gerade rechtzeitig zurück, um den Berliner Fabrikanten mitsamt MikroStänder von der Bühne fallen zu sehen, was seine Gattin mit kreischendem Gelächter quittierte. Eilig wurde alles wieder aufgebaut, ein unauffälliger, schmächtiger Gast brachte eine gar nicht mal so üble Fassung von Blue Moon, dann war ich wieder dran.
    Kaum auf der Bühne, zog ich die Jacke aus, warf sie mir über die Schulter. Anders als beim ersten Song war ich diesmal nicht auf einen Schockeffekt aus, sondern … Gänsehaut. Also trat ich nahe, ganz nahe ans Mikrofon, blickte mit schmalem Lächeln ins Publikum, löste Hemdkragen und Krawatte, schürzte die Lippen und raunte: »Fever.« Im selben Augenblick startete Scuzzi den von einem Fingerschnippen begleiteten Basslauf, und ich wusste, ich hatte sie. Träge ließ ich während des Vortrages meinen Blick durch den Saal schweifen, den ganzen Saal, doch nicht ein einziges Mal zu Carla. Na, und zu Jochen, der an erhöhter Temperatur zu leiden schien, auch nicht. Der anschließende Applaus sagte alles. Einzug in die dritte Runde für Kryszinski, mit wehenden Fahnen.
    Der schmächtige Passagier lieferte eine brave Version von Blueberry Hill ab, dann kam Jochen wieder dran. Er hatte sich für It’s now or neuer entschieden, einen Song, der einige erotische Qualität vorzuweisen hat und obendrein auch den blassesten Sänger gut aussehen lassen kann und der mir deshalb viel zu gefährlich erschienen war. Scuzzi ersetzte ihn auf mein Anraten durch Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus, eine Entscheidung, die wir Jochen, ich muss es zugeben, sträflicherweise vorenthalten hatten. Entsprechend seine Verblüffung, die er während der kompletten Darbietung nicht recht abzulegen vermochte, genauso wenig wie die erhebliche Röte seines Antlitzes. Damit endete dann Jochens Zeit im Rampenlicht zu dünnem Applaus.
    Ein weiterer, ehemals vielversprechender Konkurrent aus den Reihen der Gäste war inzwischen zu betrunken, dem Text zu folgen, und danach war es an mir, die Hand voll Verbliebener in die dritte und entscheidende Runde zu führen. Die obersten Hemdknöpfe hatte ich offen, die Krawatte hing lässig, meine Jacke hatte ich am Tisch zurückgelassen. Ich schlenderte zum Mikro, krempelte mir, in Gedanken versunken, die Ärmel auf dabei. Eine

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