Equinox
unternehmen.
»Wir hatten sogar schon das Klingelschild für unsere gemeinsame Wohnung prägen lassen. Nach der Hochzeit«, fügte er hinzu und fischte die verfluchte Scheußlichkeit in Messing tatsächlich aus seiner Tasche. »Ingrid und Jochen Fuchs«, las er vor, und ich wand mich innerlich. »Unseren Sohn wollten wir dann Isidor nennen.«
Isidor? Isidor Fuchs? Das arme Kind.
»Jockel«, sagte ich eindringlich. »Sie hat dich vom ersten bis zum letzten Tag mit jedem Schwanz in Reichweite betrogen, und dann hat sie dich schließlich wegen eines Steuerberaters sitzen gelassen. Wegen eines Steuerberaters! Dich, einen Angehörigen des vielleicht angesehensten Berufes der Welt! Wann hat es zuletzt einen Thriller gegeben, in dem ein Steuerberater die Hauptrolle gespielt hat? Jochen, wir beide, du und ich, wir sind die Helden eines ganzen Genres! Unser Leben ist episch, ja, dramatisch! Denk an die in Stein gemeißelten Dialoge mit Hausmeistern, Kioskbetreibern, Frührentnern, Klofrauen und Etagenkellnern! Denk an all die Filterlosen, die Ströme lauwarmen Kaffees! Denk an die Nächte, die wir in arschkalten Autos herumhängen, die heimlichen Fotos von übergewichtigen, unansehnlichen nackten Leibern, die wir knipsen, sortieren und dann hysterischen Ehepartnern präsentieren, denk an den … den Glamour des Ganzen! Und sie verlässt dich wegen eines …«
»Du warst am Wodka«, unterbrach mich Jochen mit kritischer Miene. Er senkte die Stimme. »Und am Kühlfach auch.«
»Nun«, antwortete ich, etwas aus dem Tritt und um mindestens ein halbes Dutzend weitere Ausrufezeichen gebracht, da kam Antonov in den Raum gestürmt.
»Jungs«, meinte er aufgeräumt und hieb uns beiden je eins aufs Kreuz, »gute Nachricht: Der verfluchte Reis ist wieder da!«
Jochen sah von Antonov zu mir und wieder zurück. Nur mit Mühe konnte ich der Versuchung widerstehen, ihm den ungläubig herabhängenden Unterkiefer anzuheben.
»Der Keeper der Nippon-Bar hat ihn gerade entdeckt. Wollt ihr mitkommen? Vielleicht sagt euch euer geschultes Auge ja, wer ihn die ganze Zeit über versteckt gehabt hat.«
»Geh du schon vor, Jockel«, sagte ich und zerrte ihn unauffällig aus dem Sitz. »Ich muss auch noch eben eine Mail loswerden. Keine Sorge, ich schick das hier für dich ab und komm dann nach.«
Antonov packte ihn sich und schob mit ihm ab, den Arm auf seiner Schulter. Ich sah es nicht, aber ich spürte deutlich, dass Jochen mehr als nur einen sorgenvollen Blick zurückwarf. Dann war er weg, und ich löschte bis auf die Kopfzeile den ganzen Mist, den er da verzapft hatte.
Liebste Ingrid,
falls du dich je gefragt haben solltest, warum dich alle Welt »Elefantenarsch« nennt, rate ich dir, dich einmal mit dem Rücken zum Spiegel aufzustellen und über die Schulter zu blicken.
Die Zeit mit dir war die wahrscheinlich mieseste meines Lebens - ich sag nur »Knesel« -, und ich würde ihn mir eher abbinden, bis er schwarz wird und abfällt, als ihn auch nur noch ein einziges Mal in dich zu stecken, du Flittchen. Gerade habe ich einen Brief mit der vollen Wahrheit - ich sag nur »russische Matrosen in Mannschaftsstärke« - an deinen Steuer-Heini geschickt, so ist er zumindest gewarnt, bevor er dich in zehn Tagen heiratet. Wenn er es dann noch tut. Von mir aus verrotte, du Nutte.
Jochen
Ich ging noch mal drüber, fand keine Fehler, absolut nichts zu verbessern, und schickte es ab.
Meiner persönlichen Ansicht nach sind wahre Freunde die, die einen auch mal vor eigenen Dummheiten beschützen. So gesehen, war Jochen mit mir als Freund und Kollege mehr als nur gut bedient. Isidor, mein Arsch!
Zufrieden machte ich den Platz frei für einen der Wartenden. Der vorausgesehene Andrang begann sich zu formieren. Jemand vom Personal kam und tauschte die 27 an der Wand gegen eine 26 aus.
»Rund um die Uhr«, versicherte mir der Schlichte Gundolf. »Könnt ja sonst einer einbrechen und den Schnaps klauen.«
Wir, das heißt Gundolf, Jochen, Antonov und ich, hockten im abgedunkelten Zentralbüro der Video-Überwachung und beobachteten einen der vielleicht zwanzig kleinen, grauen Monitore, auf dem das Interieur der Nippon-Bar schwach beleuchtet und, bis auf das ruckelnde Flimmern des schnellen Suchlaufs, reglos in der Gegend herumstand. Dann flog die Tür der Bar auf und wir alle sogen spontan Luft ein. Dies war der Moment, auf den wir gewartet hatten. Ich vielleicht noch eine Spur banger als die anderen. Weil, man weiß ja nie.
Eine bekopftuchte
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