Equinox
verdammte Qualm längst in den nächsten Rauchmelder gekrochen und hatte einen schrillenden Feueralarm ausgelöst.
Hm.
Viel hätte nicht gefehlt und Antonovs Mannen hätten die Passagiere ausgeschifft. Alle Passagiere, muss ich dazusagen. Alle Passagiere und alle Besatzungsmitglieder, allesamt unsanft aus ihren Kabinen geholt und zu den Rettungsbooten gescheucht. Morgens um halb vier.
Es brauchte mehr als eine Stunde, bis sich die Geschichte vom Fehlalarm herumgesprochen und alles zurück in die Federn gefunden hatte.
Zouteboom war so was von sauer. Sprachlos. Und Antonov erst. Doch kein Vergleich zu Doktor Köthensieker. Bei dem hatte ich verschissen. Für immer. Doch mir war einfach der Film gerissen, als er, vom Käptn nach der Todesursache befragt, angefangen hatte, mit einem Seitenblick auf mich irgendetwas von »einem scharfen Wasserstrahl« zu salbadern, und ich war ihm dermaßen ins Wort gefallen, dass dem Doktor die Glut aus der Pfeife gesprüht war.
»Schwert! Das war ein Schwert, Sie verdammter Quacksalber!«, hatte ich ihn angeschrien und war seither gut beraten, bis zum Einlaufen in den nächsten Hafen besser keine medizinische Versorgung zu benötigen und generell einen großen Bogen um die Krankenstation zu machen. Wie um die Brücke.
Die anstehende Untersuchung des kompletten Vorfalls hing wie das, tja, Schwert des Damokles über meinem pochenden Kopf. Und immer noch schimmelte die verdammte Leiche unter Jochens Koje vor sich hin, so dass an ein Schließen der Tür oder des Bullauges nicht zu denken war und … Gott, ich war müde.
Schritte näherten sich, draußen, und ich hob den Kissenbezug bis auf Augenhöhe.
Es war Jochen, Hemd offen, Krawatte lose, Jacke über der Schulter, Zigarre zwischen den Zähnen, Mütze in kecker Schräglage auf der verwuschelten Frisur. Er kam herein, von Rauch umkräuselt, mit der unnachahmlichen, durch und durch behaglichen Miene eines satten Katers. Hätte nur noch gefehlt, dass er sich breit hinhockte und genüsslich die Schnauze leckte. Oder die Eier, so gesehen.
»Gab’s Alarm?«, fragte er, nonchalant, griff nach der Barolo-Flasche, an der Scuzzi schon eine Weile herumnuckelte, goss sich ein Glas ein und hielt es erst ins Licht, dann unter seinen Zinken. »Kaum was von mitgekriegt«, führte er weiter aus und schlürfte ein Schlückchen, kaute es durch, bevor er es die Kehle hinabrinnen ließ. »Nicht übel«, fand er und erwartete wahrscheinlich, dass ihn einer fragte, wo oder worin er die halbe Nacht gesteckt hatte, doch da konnte er lange warten. Nichts macht mich bockiger, nichts sturer, als wenn Jochen Fuchs den geheimnisumwitterten Lebemann gibt, eine Rolle, die ihm ungefähr so gut steht wie John Goodman die einer magersüchtigen Transe. »Leichtes Vanille-Aroma, trocken, aber nicht zu trocken. Genau das Richtige, um eine gelungene Nacht wie diese abzuschließen.«
Ich gönnte ihm die Sorte Blick, die selbst einen Versicherungsvertreter mitten im Satz stoppen kann.
»Wo warst du denn die ganze Zeit?«, fragte Scuzzi, und ich gab den Blick gleich an ihn weiter und fragte mich, wie, ohne ihn niederzuschlagen oder zu knebeln, ich Jochens anstehende selbstgefällige Angebereien schon im Ansatz stoppen könnte. Carla, fiel mir plötzlich auf, war ja wider Erwarten gar nicht in Fjodrs Kabine gewesen, und ich strich das »ohne ihn niederzuschlagen« ersatzlos.
»Sie hat mir gestanden«, begann Jochen verträumt, »noch niemals zuvor so …«
Da sprang ich auf die Füße.
Ein Gutes, war mir gerade schlagartig klar geworden, hatte das verdammte Schlamassel der letzten Stunden doch noch: Wir hatten eine brandneue Leiche.
Das, so erklärte ich meinen beiden Mitbewohnern mitten hinein in die staunenden Mienen, machte die alte überflüssig.
Denn Fjodr, so viel war sicher, würde in der Kühlung landen, wo er hingehörte, und dort mindestens so lange verweilen, bis geklärt war, wer ihn in zwei Teile zerhackt hatte.
»Leiche?«, fragte Jochen. »Was denn für ‘ne zweite Leiche?«
»Zieht Wassilij schon mal unter der Koje hervor«, ignorierte ich Jochens Fragen, suchte und fand mein Taschenmesser und lief aus der Kabine, verschwand mit zwei Schritten linksrum um die Ecke. Sollte Scuzzi es ihm doch erzählen.
Morgens zwischen fünf und sechs pennte praktisch der ganze Kahn. Nur die ausdauerndsten der Nachteulen wankten hier und da noch vereinzelt über die Gänge.
Ich hatte mir die Positionen der beiden auf das Deck vor unserer Kabine ausgerichteten
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