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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Bordsprache hieß, und seine faden Monologe halfen mir auch nicht unbedingt über die vom Koka herbeigeführte Appetitlosigkeit hinweg.
    »Was ich nicht verstehe«, ignorierte Jochen seinen - wenn es nach dem Willen der Tochter gehen sollte - angehenden Schwiegervater wie üblich, »ist, wieso du Elena keine Chance gibst.« Nur mit etwas, das nahe an körperliche Gewalt heranreichte, konnte er Heather daran hindern, ihm den Teller ein drittes Mal voll zu schaufeln. Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum und sah, nicht ohne Grausen, das Berliner Gummiwaren-Fabrikanten-Ehepaar auf unseren Tisch zugewankt kommen, mit verkniffenen Mienen ineinander verkrallt.
    »Sie ist total in dich verschossen«, fuhr Jochen fort, »und sie ist obendrein ein wirklich nettes Mädchen.«
    »Funny thing happened in the duty-free today«, begann der Texaner eine weitere seiner Erzählungen, die sich für gewöhnlich der Ankündigung zum Trotz als alles andere als funny erwiesen.
    »Jochen«, entgegnete ich und schob meinen Teller endgültig von mir, schmeckte eh nichts, »wann kapierst du es endlich? Ich will kein nettes Mädchen. Ich hatte nette Mädchen. Nette Mädchen enden traurig, mit mir.«
    »Thing is, I had to pay but a couple of bucks«, fuhr der Texaner fort und ließ die Eiswürfel in seinem Whisky ein paarmal kreisen.
    »Was ich will, sind scharfe, schnelle Frauen. Nette Mädchen möchten, dass man zur Ruhe kommt. Auf sich Acht gibt. Sich betutteln lässt und einen regelmäßigen Lebenswandel annimmt. Da krieg ich schon beim Gedanken daran die Krätze.«
    »Bought a bunch of Cuban cigars for less than fifty dollars«, erzählte der Texaner und wedelte mit seiner Zigarre zur Demonstration, da ließen sich die Berliner mir gegenüber schwer in ihre Stühle fallen.
    »Du bist so ein Versager«, zischte die Berlinerin, ihr schrilles Organ nur mühsam gedämpft. »So ein gottverdammter Schlappschwanz.«
    »Dead cheap when you compare it to what you have to pay for those at home.«
    »Warum versuchst du es nicht mal mit Elena?«, fragte ich Jochen, dem die Texanertochter gerade ein Stück Schokoladenkuchen in Form und Größe eines Schuhkartons vor die Nase gewuchtet hatte.
    »Und du bist nichts als eine frigide Pissfletsche«, spuckte der Berliner, schnappte sich den Tischwein und goss sein Glas voll bis zum Rand.
    Jochen sah mich dackeläugig an. »Ich bin noch nicht wieder so weit für eine Beziehung«, log er. »Ich muss die Sache mit Ingrid erst noch endgültig klären, verstehst du?« Und ich konnte »Carla« in seinen Augen lesen.
    »So I hand over my creditcard and next thing, the cashier prints me a bill for more than fifteen million dollars.«
    Immer schön beim Thema bleiben, dachte ich, abwesend. Dollars. Dem Mann mit dem hängebackigen Bulldoggengesicht gehörte, nach eigenem Bekunden, die größte Ford-Vertretung in Houston, und ich hatte das Gefühl, dass er gerade dabei war, ungeheuer subtil auf die vielen, vielen Extras hinzuweisen, die man kostenlos dazubekam, wenn man ihm das wenig gefragte Auslaufmodell »Heather« abkaufte. Lebenslange Gewohnheiten sind wohl nur schwer abzulegen.
    »Yes«, mischte sich Jochen mit seinem lispelfreien Englisch ein, »we had sse same problemm ssis afternoon wiss anosser client. Sse machine has gone, äh, kaputt. But it is repaired now. I hope«, schickte er hinterher.
    »Bit expensive for a bunch of cigars, I told the young lady«, erinnerte sich der Texaner. »Even if they’re from Cuba.« Und er lachte eine ganze Weile in sich hinein.
     
    Meine weiße Dinner-Uniform saß makellos, und als Fürst Fjodorov-Tsarinski mich dem Publikum ankündigte, hielt ich beim Betreten der Bühne die Mütze mit der Rechten auf Bauchhöhe unter den Arm geklemmt, so wie ich es in einem der zahllosen in Kadetten-Anstalten spielenden Hollywoodstreifen gesehen hatte. Ich trat aufrecht ans Mikro, nahm mit bescheidenem Nicken den Applaus entgegen, wirbelte dann DJ Scuzzi die Uniformmütze zu wie ein Frisbee, riss den Mikroständer in eine gefährliche Schräglage und bellte Euer since my baby left me ins Mikrofon, dass es ihnen unten im Saal wie ein Stromstoß in die Knochen fuhr.
    Beim Karaoke geht es selbstredend darum, möglichst bescheuert aufzutreten und sich generell zum Affen zu machen, doch dies hier war ein Wettbewerb, und da wird aller Erfahrung nach noch immer sehr ernsthaft die Sangeskunst bewertet.
    Und ich war entschlossen zu gewinnen, komme, was da wolle. Und mit »Heartbreak Hotel«

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