Equinox
und bekittelschürzte Putzfrau kam in die menschenleere Bar gestürmt, riss ihren mit Eimern, Schrubbern, diversen Lappen und einem großen Müllsack beladenen Trolley hinter sich her, dann stoppte Gundolf das Band, spulte ein Stück zurück und startete von vorn. Mit normaler Geschwindigkeit.
»Mach mal ein bisschen heller«, forderte Antonov und beugte sich konzentriert nach vorne.
Die Tür ging auf, die Putzfrau kam rein, hielt ihr Gesicht aber auch nach Hochdrehen der Helligkeit weiterhin im Schatten des Kopftuches und aus dem Fokus der Überwachungskamera. Sie zog ihren beladenen Trolley bis zum ersten der runden Tischchen, bückte sich über die große, pralle Mülltüte, hob sie schwungvoll hoch, schüttelte einen Sack Reis heraus, legte ihn, mit dem Aufdruck nach oben, auf dem Tisch ab und verzog sich, mitsamt Trolley, durch die gleiche Tür, durch die sie gekommen war.
»Unmöglich, ein Gesicht zu erkennen«, stellte ich rasch fest. Im Brustton der Überzeugung, leichte Enttäuschung mitschwingend.
»Bisschen maskulin in den Bewegungen«, fand Antonov.
»Möglicherweise ein verkleideter Mann«, bot Gundolf an.
»Mit einem Schlüssel zur Nippon-Bar«, meinte Jochen bemerken zu müssen. »Oder einem Generalschlüssel«, führte er, überflüssigerweise, weiter aus.
Gundolf spulte noch mal zurück und sie konzentrierten sich wieder auf den Bildschirm. Ich sah mir derweil das Programm auf den anderen Monitoren an. Mir war nicht bewusst gewesen, wie lückenlos die Video-Überwachung des Schiffes war. Alle dreißig Sekunden oder so wurde auf jedem einzelnen Monitor automatisch von einer Kamera zur nächsten geschaltet und von da aus zur übernächsten und so weiter. Alles in allem mussten das Hunderte von Linsen sein, in allen Ecken und Winkeln des öffentlichen Bereichs versteckt. Denn darauf - so sah es zumindest aus - beschränkte sich das Interesse der Überwachung. Auf das Wohl der Passagiere, um es kurz zu formulieren. Wo immer sich unsere Fahrgäste außerhalb ihrer Kabinen bewegten, sie wurden gefilmt.
»Seht nur, wie er sich den Sack schnappt«, meinte Antonov. »Das ist ein Kerl, hundertprozentig.«
»Soll ich noch mal zurückspulen?«, fragte Gundolf.
»Nein«, knurrte Antonov, »lass uns lieber mal die anderen Tapes durchsehen. Die Minuten vorher. Mal schauen, woher der Typ gekommen ist.«
Sie kramten und sie spulten ein bisschen, während ich meinen Blick nicht von den restlichen Monitoren lassen konnte. Das Deck vor unserer Kabine erschien, komplett mit Tür. Solange diese Kamera eingeschaltet war, konnten wir weder rein noch raus, ohne in den Bannstrahl zu geraten. Klick, das Deck aus einer anderen Perspektive. Klick, der Gang mit der Innenkabine von Bordpianist Fjodorov, komplett mit der Honigblonden, die gerade an seine Tür klopfte und mit warmem Griff begrüßt wurde.
>Rund um die Uhr<, dachte ich mit etwas wie Beklommenheit, dann fiel mein Blick auf das zusammengeklappte Feldbett in der Ecke, und Gundolfs Aussage relativierte sich etwas. Das elektronische Interesse mochte pausenlos funktionieren, das menschliche ist da doch etwas weniger forderbar.
Klick, die Nippon-Bar, mal wieder. Jetzt-Zeit. Ich rückte nahe heran. Chefkoch Masimoto und zwei weitere Japaner in ihren üblichen dunklen Anzügen und ebenfalls üblichen weißen Handschuhen standen über den Sack gebeugt, den Masimoto gerade mit äußerster Vorsicht aufschnitt, und zwar - ich rückte noch näher ran - seltsamerweise von oben bis unten. Bisschen langer Schnitt, wie ich fand, um eine Qualitätsprobe zu entnehmen. Masimoto legte das Messer beiseite, griff mit beiden Händen in die Körner und wühlte demonstrativ darin herum, aufmerksam beobachtet von den beiden anderen, die mit dem Rücken zur Kamera dastanden. So viel war sicher: Nach was er auch suchte, Reis war es nicht. Er wühlte und wühlte und wühlte, mit wachsender Ungeduld, bis er es urplötzlich aufgab, sich aufrichtete, finster auf den Sack hinabblickte und dann anfing, den angeblich ach so kostbaren Reis Hand voll um Hand voll um Handvoll quer durch die Bar zu schleudern, sein Gesicht wutverzerrt.
Und klick.
»Well, those were the days when a dollar was still worth a dollar«, brachte Richard E. Scott, der texanische Millionär, eine seiner langatmigen Reminiszenzen zu Ende, in denen er es wie stets fertig gebracht hatte, seine Landeswährung mindestens einmal in so gut wie jedem gesprochenen Satz zu erwähnen. Wir saßen beim Dinner, wie es in der
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