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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Kameras genau gemerkt. So konnte ich mich der ersten von hinten nähern, ohne dabei in den Sichtbereich der zweiten zu gelangen. Sie waren beide halbhoch an senkrechte Träger geschraubt, ich musste also nur je zwei Sprossen der Reling erklimmen, um problemlos - wenn auch nicht gefahrlos, nicht in meinem Zustand - an das Übertragungskabel zu gelangen und es kurzerhand durchzusäbeln.
    Ich war mit dem zweiten gerade fertig, da kamen Jochen und Scuzzi gleichzeitig, mit Händen und Füßen und Ellenbogen um den Vortritt drängelnd, aus der Kabine gestürmt, hängten sich nebeneinander bäuchlings über die Reling und spien in explosionsartigen Schwallen ihren Mageninhalt in die Weite der See.
    Hm.
    In gewisser Weise also vorgewarnt ging ich hinein. Ah.
    Der obere Sack war beim Hervorzerren aufgeplatzt.
    Hossa.
    Ich verstand.
    Von einem rein kühltechnischen Standpunkt aus betrachtet mochte es ein Geniestreich gewesen sein, die Leiche in gefrosteten Spinat zu betten. Von der Ästhetik her - eher nicht. Vor allem jetzt nicht mehr, nachdem das grüne, pürierte und mit Sahne durchsetzte Gemüse zu glitschigem Brei geschmolzen war. Ich musste schlucken, als ich den herausgekullerten Kopf zurück in die schwarze Plastikhülle stopfte, und besah mir anschließend etwas ratlos meine Hände. Wusch sie mir und zog dann die Dinner-Uniform aus, obwohl jetzt schon fraglich war, ob sich die Spuren der Nacht jemals wieder würden daraus entfernen lassen. Gottergeben taten es Jochen und Scuzzi mir gleich, und nachdem wir uns vergewissert hatten, allein an Deck zu sein, packten wir Wassilij Kryvidnadses Überreste, hoben das an allen Ecken und Enden grünen, übel riechenden Schleim absondernde Bündel auf die Reling und schubsten es erleichtert über Bord.
    Genau diesen Augenblick wählte die Equinox für eine milde Rollbewegung um die Längsachse.
    Und mit einem dumpfen, feucht schmatzenden Aufprall fiel der Leichensack auf das Deck eine Etage tiefer.
    Wie gelähmt standen wir drei da und sahen uns entsetzt an.
    Nur ein Fingerschnippen später, noch ehe wir auch nur den Ansatz eines neuen Entschlusses gefasst hatten, zerriss ein schrillendes, grelles, gellendes Kreischen die frühmorgendliche Ruhe.
    Es war, erkannte ich sofort und mit Sicherheit, die Berlinerin. Die, die beim Karaoke gemeint hatte, so gehässig über meine beiden Jodler lachen zu müssen.
    Ich kann es beim besten Willen, könnte es selbst unter Hypnose, Wahrheitsdrogen oder der Folter nicht erklären, wie und woher - wir hatten, zum Beispiel, keinerlei wie auch immer geartete Kochgelegenheit in unserer Kabine -, aber urplötzlich hielt ich sie wieder in Händen, stürmte mit affenartiger Geschwindigkeit die nächstgelegene Treppe hinunter, und nur Sekunden später hatte das Kreischen ein Ende und die Bratpfanne einen Hohlboden.
    »Vermutlich Delirium«, versuchte ich Antonovs Aufmerksamkeit von Jochen, Scuzzi und mir und auf die am Boden liegende, alle viere von sich streckende weibliche Gestalt zu lenken. Es wollte nicht recht gelingen. Drei ausgewachsene, nur mit ihrer Unterwäsche bekleidete und über und über mit Spinat beschmierte Männer schienen einen sprudelnden Quell eindeutig voyeuristisch inspirierter Faszination für ihn darzustellen.
    Ein paar von Antonovs Jungs schoben inzwischen den ganzen Gang entlang neugierige Köpfe zurück in ihre Kabinen. Sanft, natürlich, aber trotzdem.
    »Vermutlich Delirium«, wiederholte ich, kaum dass Doktor Köthensieker aufgetaucht war. Keine allzu weit hergeholte Diagnose, war doch die über der Berlinerin aufsteigende Fahne stark genug, dass man sie, wenn man genau Acht gab, in der Morgenluft wabern sehen konnte.
    Zwei Pfleger kamen, wuchteten die Bewusstlose auf eine Bahre und schoben mit ihr ab. Köthensieker begutachtete uns einmal von oben bis unten, klärte dann umständlich seinen Hals, in dem er wahrscheinlich noch den »Quacksalber« sitzen hatte, spuckte gehaltvoll über die Reling und folgte, ohne auch nur ein Wort des Kommentars, auf leicht quietschenden Gummisohlen seiner Patientin.
    »Ich war bei der Legion, früher«, sagte Antonov nachdenklich und winkte seinen Jungs, sich wieder zu verziehen. »Danach habe ich die Security im größten Puff Moskaus geleitet. Und jetzt fahre ich schon fast fünf Jahre zur See«, meinte er, ohne den Blick von Jochen, Scuzzi und mir lösen zu können.
    Ich wollte eigentlich nur noch rasch duschen und dann ins Bett und, wenn möglich, alles vergessen. Und der schnellste

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