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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Weg dorthin, hoffte ich, bestand darin, den Mann einfach ausreden zu lassen.
    »Man kann also sagen, ich habe schon so manches zu Gesicht bekommen.« Antonov begann, langsam seinen Kopf hin und her zu bewegen. »Aber ihr drei«, meinte er, »ihr schlagt alles Dagewesene.«
    »Das war ‘ne Wette«, versuchte ich zu erklären. Gott allein wusste, wie viel Leute uns beobachtet hatten, wie wir in enormer Hast den schwarzen Plastiksack ein zweites und letztes Mal über Bord wuchteten, nur Sekunden bevor das Rote Quadrat um die Ecke gewatschelt kam, alarmiert vom Warnruf der Gemeinen Brandenburger Schnapsdrossel. Irgendeine Geschichte würden wir uns ausdenken müssen. Und mit alkoholbeschleunigten Wetten kann man, für gewöhnlich, auch dem haarsträubendsten Blödsinn einen Hauch von Plausibilität verleihen. Oder es zumindest versuchen.
    »Natürlich war uns bewusst, dass man mit Lebensmitteln keinen …« Ich verstummte. »Missbrauch« schien mir nicht die passende Vokabel zu sein. Nicht unter den Umständen, nicht unter Antonovs Blick. Doch der hörte eh nicht zu.
    »Wir sind hier die Security«, knurrte er, mühsam beherrscht. »Während ihr euch auf eure ureigene Art amüsiert habt, ist unter unseren Augen ein Mann umgebracht worden, und zwar einer der Entertainer!« Er hatte die Stimme erhoben, bemerkte es aber und fuhr sie wieder herunter. »Einer aus dem Licht der Öffentlichkeit!«, zischte er. »Einer, nach dem gefragt werden wird! Und ein persönlicher Bekannter des Kapitäns!«
    O Mann, dachte ich. Da ist was dran.
    »Wenn Zouteboom wach wird«, murmelte Antonov und wandte sich zum Gehen, endlich, »möchte ich nicht in eurer Haut…« Er brach ab und schüttelte sich. »Hua! Was für eine Vorstellung! Nein, das möchte ich sowieso nicht. Niemand könnte das wollen.« Und murmelnd, immer mal wieder erschaudernd, entfernte er sich mit dem von seiner Körperfülle vorbestimmten gemessenen Schritt.
    »Antonov, warte«, rief ich und eilte ihm hinterher. »Wir müssen sofort in die Zentrale! Wir müssen uns die Video-Aufzeichnungen ansehen! Vielleicht haben wir Glück, und die Kamera vor Fjodrs Tür war in genau dem Augenblick eingeschaltet, als der Täter aus seiner Kabine kam!«
    »Wir«, echote Antonov trocken, mit diesem Blick, der eine langsame horizontale Kopfbewegung beinhaltete, »gehen nirgendwohin. Du«, ergänzte er dann, »gehst jetzt auf dem kürzesten Weg zurück in deine Kabine. Und nimm deine beiden … Spielkameraden gleich mit. Im Übrigen sitzt Gundolf schon an den Bändern. Falls wir irgendjemanden festnehmen sollten, werdet ihr es sicherlich erfahren.«
    Und tschüs, sozusagen.
     
    »Einmalig«, fand Jochen und trocknete sich das Haar, während Scuzzi duschte und ich mit einem Gummischaber letzte breiige Placken meiner hoffentlich vorerst letzten tollen Idee aus dem ehemals sandfarbenen Teppich zu kratzen versuchte. »Vom angesehenen Ersten Borddetektiv abgesackt auf den Status eines moralisch degenerierten, perversen Irren. Alles binnen 36 Stunden. Und zu allem Überfluss auch noch keine Möglichkeit, mich der anstehenden sozialen Ächtung durch einen raschen und weiträumigen Ortswechsel zu entziehen. Danke, Kristof. Tausend Dank auch.«
    Ajeh, dachte ich. Sind wir bitter. Und eloquent.
    Ich bin in der Hinsicht ja eher Fatalist. Und als solcher wesentlich kürzer angebunden. »Passiert ist passiert«, sage ich immer gerne. Und die Leute werden sich schon dran gewöhnen, dass der zweite Borddetektiv von nun an bis in Sichtweite des nächsten Hafens (also bis zum Zeitpunkt des ersehnten Hechtsprungs über die Reling) seiner Arbeit mit einem Kissenbezug über dem Kopf nachgehen wird. Doch davon abgesehen interessierte mich etwas ganz anderes. Schlaf, um die allererste Priorität zu nennen. Und dann noch was: Wir hatten zwei Morde an der Hand plus eine ganze Latte ungelöster Rätsel, und je rascher wir die angingen, je schneller wir Antworten präsentieren konnten auf die vielen drängenden Fragen, desto eher könnten wir uns rehabilitieren in den Augen unserer Vorgesetzten. Was für ein langer Satz für einen kurz angebundenen Fatalisten. Ajeh, mir fielen die Döppen zu. Doch - Moment! Wo war ich gewesen? Rätsel. Fragen.
    »Jochen«, fragte ich deshalb, gerade als er den Mund öffnen wollte für ein weiteres elaborates Lamento, »sag mal«, sagte ich und sank auf eine Koje nieder, »was ich mich frage«, fuhr ich fort und spürte den Sandmann ausholen für einen mächtigen Schwinger, »wer

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