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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Fjodr Fjodorov Tsarinski heimtückisch und brutal ermordet wurden. Und Wassilijs Leiche hatte ich einzig und allein zur Beweissicherung beschlagnahmt.«
    »Aha.«
    Die Frage nach einem Motiv für die Morde und damit einem Schlüssel zur Person des Täters stand im Raum wie ein Furz im Aufzug.
    Seit der Entdeckung von Wassilijs sterblichen Resten in den Tiefen des Maschinentraktes hatte ich nicht eine Sekunde Zeit gehabt für einen klaren Gedanken, fiel mir auf. Und mit einem Aufwallen von Hitze wurde mir klar, dass man Fjodr bei oberflächlicher Beschreibung - »langes, straff nach hinten gekämmtes Haar, macht an Bord Musik« - leicht mit Scuzzi verwechselt haben könnte. Mir schwamm das Hirn.
    Honnaido zappte erneut und übergangslos fanden wir uns in der Nippon-Bar wieder. Die Tür ging auf und die Putzfrau erschien, Kopftuch, Trolley, alles. Jetzt schwamm mir nicht nur das Hirn, sondern auch noch die Socken.
    Ein raues Räuspern riss mich aus dem hektischen Grübeln, ob ich und wieso gerade ich hier und jetzt und unter möglicher Zuhilfenahme von Zoom, Helligkeit und Tiefenschärfe mit dieser Putzfrau in Bezug gebracht werden sollte. Ich fuhr herum, und da stand Chefkoch Masimoto, in einem an ein Judo-Outfit erinnernden Morgenmantel, eine Reisschale in der Hand, und schaufelte zügig mit Stäbchen sein Frühstück in sich hinein. Hob die Stäbchen, deutete damit auf den Bildschirm und grunzte etwas Gutturales.
    Die Putzfrau hatte gerade den Reissack auf dem Tisch platziert.
    »Der Reis war eine Fälschung«, erläuterte Honnaido. »Was sagen Sie dazu?«
    Und sie nahmen mich in die Mitte zweier starrender Augenpaare.
    An Schlaf war vorerst nicht zu denken, also griff ich tief hinein in den Frost. Hackte anschließend eine Weile glitzerndes Granulat zu Staub, während ich, mit hängendem Kopf, dumpf vor mich hin brütete.
    Dieser blöde Reis, dachte ich. Dieser scheiße-blöde Reis. Was für ein Theater darum gemacht wird.
    Entschlossen schnorchelte ich eine Line, lang wie der Spiegel. Aah. Meine Augen gingen auf, synchron mit der Kabinentür. Jochen kam herein, zwei E-Mail-Ausdrucke in den Fingern. Einen reichte er gleich an mich weiter, während er den anderen mit tief gefurchten Brauen studierte.
    Gemeldet waren sie unter »Familie Tyriana«, schrieb mein Kumpel Charly aus Mülheim, doch sie sind spurlos verschwunden. Falls ich in den nächsten Tagen noch etwas in Erfahrung bringe, melde ich mich.
    Wirst du nicht, dachte ich. Weil wir in den nächsten Tagen nicht zu erreichen sein werden, verfluchter Mist. Am liebsten hätte ich den Kahn angehalten und wäre umgedreht. Mit Volldampf in den nächsten Hafen, augenblicklich abmustern, das Gras und das Kokain verticken und dann eine Weile untertauchen. In Lappland oder wo auch immer. Rentiere ficken oder was man da sonst noch so unternehmen kann.
    »Ich kapier das nicht«, unterbrach Jochen den Fluss meiner Gedanken, in sein Schreiben vertieft. »Alles, was ich getan habe, war, Ingrid zu bitten, ihre Heiratsentscheidung noch mal zu überdenken, und sie antwortet mit einer Mail, in der sie mich in nur einem Satz …«, er las, kopfschüttelnd, »als charakterlich, geistig und …«, er nuschelte drei Silben lang, »organisch zu kurz gekommen< bezeichnet. Möchte wissen, was in sie gefahren ist.«
    »Ich habe das Wort vor >organisch< nicht richtig verstanden«, sagte ich zu ihm, ganz der interessierte Zuhörer. »Könntest du das noch mal vorlesen?«
    Jochen sah hoch und mich mit pötzlich verengten Augen an. »Sag mal«, meinte er, »was mir gerade durch den Kopf geht: Wo sind eigentlich meine Reeboks geblieben? Du erinnerst dich, die Special Edition? Sie sind wie vom Erdboden verschwunden, seit wir …«
    Ich stoppte ihn mit erhobener Hand, lauschte nach draußen. Und richtig, da kam es noch mal: And aahiiaaiiiii will always love - krcks - »15A und 15B bitte unverzüglich zur Brücke!« - uhuhuuuuu …
     
    Bevor wir die Treppe zur Brücke erklommen, hielten wir noch mal an und nahmen uns gegenseitig in Augenschein. Anders als ich, hatte mein Kollege irgendwann Zeit gefunden, sich zu rasieren. Ansonsten sah er fertig aus, übernächtigt und angeschlagen, Nase und Ohr und gleich drei Finger dick verpflastert, doch die Uniform war tipptopp, da gab es nichts. So ein ordentlicher Junge, der Jochen Fuchs, immer schon gewesen. So ordentlich und mehr als nur ein bisschen weinerlich.
    »Das ist alles deine Schuld«, jammerte er und drückte das Pflaster um meinen

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