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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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obendrein schnell gehen, sagte ich mir, und das brachte die Entscheidung. Ich hob mein Glas - leer - und bimmelte ein Löffelchen dagegen.
    »Messieurdames«, rief ich in die Runde, und vor allem die dames ließen alles stehen und liegen und strömten nur so herbei wie eine Herde neugieriger Rindviecher. Oder vielleicht sollte ich »neugierig« tauschen gegen »brünstig«. Da war ein ungesundes Funkeln in all den blutunterlaufenen Augen, und die Art, in der sie mich mit Blicken abtasteten, schien nur eine Vorstufe darzustellen zu, wie soll ich sagen, deutlich manuelleren Fortsetzungen. Sie brauchten Beschäftigung, so viel war klar.
    »Isch denke mal«, hob ich die Stimme, »Sie alle ‘aben schon mal gekostet von die Chili con Carne.« Zustimmendes Brummen und Nicken. Gleichzeitig besaß ich nur die vagesten, die schwammigsten Vorstellungen davon, woraus genau sich dieses Gericht zusammensetzt. Deshalb fügte ich sofort hinzu: »Aber noch nie«, ich senkte die Stimme wieder, verschwörerisch, »’aben Sie gekostet eine Chili wie die Chili á la Pierre!« Das, sagte ich mir, ist mal ein Versprechen, das du halten kannst, Pierre. Garantiert.
     
    Ich schnaubte mir zwei Lines weg und steckte mir eine Zippe an, ließ mich ächzend auf den Klodeckel fallen. Meine Herde war beschäftigt, hackte Zwiebeln, pürierte Tomaten, holte Rotwein aus dem Lager und die unter Elsässer Flagge segelnden und mit Chartreuse versüßten Vodka Jellies aus der Kühlung.
    Zwiebeln, Tomaten, dazu noch Bohnen, mutmaßte ich. Und ansonsten Carne, also irgendein Hackfleisch. Und Chili. Wie der Name schon sagt. Nun denn. Die Kristalle taten ihre Pflicht und ich raffte mich auf. Die Zeit drängte.
     
    Als ich den Einkaufswagen mit den Bohnen und dem Hackfleisch und dem Chili unter energischem Krachen durch die Pendeltüren schob, fuhren einundzwanzig Köpfe zu mir herum. Lauter leicht betretene, milde schuldbewusste Mienen. Kein Mensch hackte Zwiebeln, pürierte Tomaten oder war mit sonst einer Vorbereitung beschäftigt. Stattdesssen schlabberten sie alle glasigen Auges Vodka Jellies hinein in gefährlich entgleiste Gesichtszüge.
    Die Backbleche mit den Keksen, fiel mir auf, waren leer. Leer gefegt.
    »Mais, mais, mais«, rief ich sie zur Ordnung wie ein, tja, Leithammel, »abber sofort marsch, marsch zurück an die Arbeit!« Und unter viel mädchenhaftem Gekicher widmeten sie sich wieder ihren Aufgaben. Eine ganze Traube gruppierte sich um den Berliner, der sich ohne Pause Wein reinsaugte und sich pudelwohl zu fühlen schien, umgeben von so viel Material, während die Texanerin entschlossen wirkte, in Abwesenheit eines bestimmten Ersten Borddetektivs ihre Vaterkomplexe an dem dürren Engländer auszutoben. Neckisch gab sie ihm eins mit der Hüfte und hätte ihn damit um ein Haar in den Rührbottich geschickt. Selbst der Läufige Leopold bekam so langsam seinen eigenen, meist bläulilalich getönten Harem zusammen, den er auf seine ihm ureigene Art zu vitalisieren verstand.
    Nicht, dass ich mich einsam zu fühlen brauchte. Nein, bei Gott nicht. Was mal als Großküche angefangen hatte, schrumpfte mehr und mehr zusammen, bis sie vom Format her kaum noch von einer Kochnische zu unterscheiden war. Schwer zu erklären, ich weiß, doch es mochte damit zusammenhängen, dass vor allem die Feuerköpfe unendlich viele Utensilien von hier nach da zu tragen hatten oder mal eben schnell rausmussten und dann husch-husch wieder rein, und egal, wohin ich mich auch stellte, die Wege zwischen hier und da und raus und husch-husch wieder rein führten alle bei mir vorbei. Und es wurde eng jedes Mal, sehr eng. Mächtige Hüften schoben sich, langsam wie Eisberge an einem Schiffsrumpf, an meinen Arschbacken vorbei, gewaltige, von Mal zu Mal weiter freigelegte Dekolletes wogten unter meiner Nase durch, in die Parfümschwaden von einer Dichte stiegen, die kurz unterhalb der Quellwolkenbildung liegen musste.
    Wo man hinblickte, standen Flaschen und Gläser herum, Wein floss in Strömen, Rauch aus Hunderten von langen, dünnen oder superlangen und superdünnen Zigaretten vernebelte die Decke, die Arbeitsmoral sank auf südseeinsulanisches Niveau.
    Ich sah mich gezwungen, in die Hände zu klatschen und einen energischen Ordnungsruf vom Stapel zu lassen, oder ich hätte das Chili alleine kochen können.
    »Was soll das ‘ier sein«, rief ich mit finsterer Miene und drohend geschwenktem Holzlöffel, »eine Kochkürs oder eine Stüdentenfete?«
    Meine Strenge imponierte

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