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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Woodstocks bedruckter Schlafanzug lag obenauf, wartete ordentlich gefaltet auf die Rückkehr seiner Besitzerin.
    Und es war dieser Anblick, diese kleine private Note, die etwas in mir knackte, aufbrach, freilegte. Ich blickte hinab auf dieses akkurat gemachte Bett und den adretten Schlafanzug mit seinem »Peanuts«-Muster und etwas griff nach mir und wrang mein Innerstes wie Maurerhände einen nassen Lappen.
    »Ich habe Angst«, hatte sie mir anvertraut, vielleicht als einzigem Menschen auf diesem Schiff.
    Und ich? Was hatte ich getan?
    »Wenn ihr etwas zugestoßen ist, Kristof«, schwor ich mir, »dann mach ich dich fertig!«
     
    »Antonov hier«, sprach ich mit dem harschen Tonfall und Akzent meines ehemaligen Vorgesetzten in das Diensttelefon auf dem Gang, »geben Sie mir Ihren Chef!«
    »Oh, der Herr Doktor ist zurzeit beschäftigt«, flötete die Schwester vom Empfang.
    »Das interessiert mich einen Furz«, ließ ich sie wissen. »Entweder Sie holen Köthensieker sofort ans Rohr, oder ich komme rüber und stecke Sie wegen Behinderung meiner Arbeit ins Loch!«
    »Einen Moment.«
    »Ja, aber höchstens«, schnappte ich, doch da sprach ich schon mit einer Sonate für Klavier. Händel, oder Rimski-Korsakow. Korsakov, dachte ich. Auf Sachalin.
    »Was wollen Sie, Antonov?«, unterbrach Köthensieker das Geklimper, ohne sich mit Namen zu melden.
    »Wo habt ihr die Kleine aus dem Duty-free?«, schnarrte ich.
    Ein kleines Geräusch antwortete, bevor der Doktor weitersprach. Ein kleines Schnappen nach Luft, wie wenn man sich von hinten an jemanden heranschleicht und ihm zwei Finger seitljch in die Rippen pikst.
    »Was wollt ihr von ihr?«, fragte Köthensieker dann zurück, und ich hätte mich am liebsten durch die Leitung gezwängt, um ihm aus dem Hörer heraus beide Daumen in die Augenhöhlen zu pressen, bevor ich das Gespräch fortsetzte.
    »Diese Kreditkartengeschichte fängt irgendwie an zu stinken«, knurrte ich. »Ich muss Elena dazu ein paar Fragen stellen.«
    Mein Gesprächspartner blies den Atem durch die Nase. Köthensieker mochte als Gerichtsmediziner in Japan und anderswo seine Erfahrungen mit der Strafverfolgung gemacht haben, doch war er spürbar ungeübt in dieser Rolle auf der falschen Seite eines Verhörs.
    Japan, dachte ich. Nur eine Meerenge entfernt von Sachalin.
    »Das ist zurzeit nicht möglich«, behauptete der Doktor.
    »Wiiesoo?«, fragte ich und zog die beiden Silben zu einem Statement tiefsten Misstrauens.
    »Nun«, kam es zögerlich und dreist zugleich, »sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Ich musste ihr Sedativa in hohen Dosierungen verab-«
    An dieser Stelle mischte sich, im Hintergrund, die Schwester ein, und ich konnte hören, wie sie irgendwas von »läuft draußen über den Gang« faselte, dann wurde das Gespräch abgelöst vom Rauschen einer Handfläche auf der Sprechmuschel, und schließlich meldete sich Doktor Köthensieker wieder zu Wort, zischend. »Wer spricht da?«, wollte er wissen, mit kaum verhaltener Wut. »Kryszinski, sind Sie das?«
     
    »Gundolf«, schnarrte ich, im gleichen harschen Tonfall wie vorher, wenn auch in ein anderes Telefon, »lass alles stehen und liegen und komm runter zu Maschinenraum 1, ich brauch dich hier.«
    »Obba, obba, obba«, machte Gundolf mit vollem Mund.
    »Bist du schon wieder am Fressen?«, herrschte ich ihn an.
    »Obba«, es folgte das Geräusch mühsamen Schluckens, »aber ich bin ganz allein, Chef«, protestierte Gundolf schließlich.
    »Das interessiert mich einen Furz«, gab ich zurück, ganz Antonov, ganz der Boss. »Maschinenraum 1, und zwar sofort. Deine Monitore laufen auch mal ein paar Minuten ohne dich!« Damit hängte ich ein. Wartete, zählte bis zehn und setzte mich dann in Bewegung. Gundolf und ich gaben uns praktisch die Klinke in die Hand. Er auf dem Weg nach unten, ich, Kopf gesenkt, Gesicht hinter der Mütze verborgen, in entgegengesetzter Richtung.
     
    Sechs Betten, verteilt auf zwei Kabinen. Dazu ein Untersuchungs- und Behandlungsraum mit Liege, Zahnarzt- und gynäkologischem Stuhl, ein voll eingerichteter OP, dann Köthensiekers Besprechungszimmer, der Empfang, Damen- und Herrentoilette mit Duschen und Waschraum.
    Es war beängstigend. Die überwachten Teile des Schiffes waren zu Einheiten zusammengefasst, und man brauchte sich nur anhand einer Zahlenliste einzuloggen und dann weiterzuklicken und das Programm schaltete sich innerhalb der Sequenz ringförmig von Kamera zu Kamera.
    Zurück zu den Betten. Sechs Stück,

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