Equinox
japanischen Firma installierten und von einem japanischen Techniker gewarteten Zentralrechner riesige Summen von den Bankkonten gesaugt worden«, sagte ich und versuchte, seinen Blick festzuhalten.
»Technischer Defekt, Kristof«, meinte Antonov beschwichtigend, sah den Eiswürfeln in seinem Glas beim Kreiseln zu wie ich den Tröpfchen auf seiner Stirn beim Wachsen. Antonov war plötzlich beunruhigt. »Ginza-Titanium wird das alles in kürzester Zeit wieder in Ordnung bringen. Das hab ich schriftlich.«
»Wie denn?«, fragte ich heftig. »Wenn erst mal so gut wie jeder Kontakt zur Außenwelt abgerissen ist?«
»Was weiß denn ich?«, fragte Antonov zurück. »Das ist Datenübertragung. Was verstehe denn ich davon?«
Gute Frage, dachte ich mir.
»Nichts«, behauptete er fest, stellte sein Glas ab und löste sich von der Theke.
»Ich muss los. Wir müssen den … äh, den Ball vorbereiten.«
Und er watschelte davon. An Bord geschahen Morde und andere Verbrechen, unter den Passagieren befanden sich organisierte Gangster, und der Chef der Security war zu beschäftigt, sich darum zu kümmern. Zu beschäftigt mit der Vorbereitung einer Tanzveranstaltung.
Diese Reise nimmt von Stunde zu Stunde irrealere Züge an, dachte ich.
»Und du«, rief Antonov über seine Schulter, »kümmer dich um deinen Aufgabenbereich! Und vergiss nicht: Du stehst nach wie vor unter Beobachtung!«
»Was ist mit den Ermittlungen, die ich für dich führen sollte?«, schrie ich frustriert.
»Vergiss es«, antwortete er. »Davon war nie die Rede!«
Nachdenklich sah ich ihm hinterher. Lange genug, um mitzukriegen, wie er an der Tür zögerte, zu mir zurücksah, einen winzigen Moment grübelte, dann aber doch nach draußen verschwand.
Was, fragte ich mich, war so wichtig für Antonov? Der blöde Ginza-Titanium-Ball? Oder steckte Antonovs Security-Trupp mit den Yakuza unter einer Decke? Waren Jochen und ich deshalb nie wirklich in ihre Reihen aufgenommen worden? Und, wenn das so war, hatte ich mich dann gerade um Kopf und Kragen geredet? Im wahrsten Sinne des Wortes?
»15B bitte an der Rezeption des A-Decks melden«, krächzte es von der Decke. Doch 15B reagierte nicht. 15B war auf dem Weg in den Untergrund und fragte sich, wie lange er sich da wohl würde halten können.
Der Keeper der »Bohemia-Bar« stellte mir ungefragt ein weiteres Budweiser hin. Ich bedankte mich mit einem Nicken und nahm einen Schluck, obwohl ich mir nicht sicher war, ob Bier das adäquate Getränk für jemanden in meinem Zustand darstellte. In meinem Zustand fortschreitender Trübung des Bewusstseins.
Draußen vor der Glasfront der Bar wurde die »Mall«, die große Halle der Einkaufszeile und das eigentliche Herzstück der Equinox, für den Mitternachtsball vorbereitet.
Großes Käptns-Dinner, großes Showprogramm, großes Feuerwerk auf den Außendecks und anschließend rauschende Ballnacht bis in den Morgen. Wenn ich den noch erlebe, dachte ich.
Mit hängendem Kopf holte ich noch mal Wassilijs Dienstausweis hervor, klappte ihn auf und betrachtete ihn unter schweren Lidern hervor, nahm noch einen Schluck. Stellte die Flasche - leer - zurück auf den Tresen.
Wassilij Kryvidnadse, Undercover-Agent des russischen Grenzschutzes. Eins war klar: Dieser Ausweis hatte ihn nicht enttarnt. Es musste etwas anderes gewesen sein.
Eine frische Flasche Budweiser fand ihren Weg in meine Hand, an meinen Hals.
Wie zäh das Denken werden kann. Und immer im falschen Augenblick.
Ich flappte das Ledermäppchen hin und her, auf und zu, auf und zu, auf … Nahm einen Schluck, winkte dem Keeper mit der leeren Flasche und bekam so gerade eben aus dem Augenwinkel mit, wie ein winziger, schmaler Papierstreifen aus dem Zwischenraum von Ausweis und Mäppchen glitt und sachte zu Boden schwebte.
»Wir brauchen einen Rechner!«, stieß ich hervor und trat die Kabinentür hinter mir zu. Draußen an Deck war ein Elektriker dabei, die beiden Überwachungskameras wieder anzuschließen, und ich wollte weg sein, bevor er damit fertig war. »Sieh dir das an!«, forderte ich und zeigte das Papierchen vor. Nach einem prüfenden Blick in den Badezimmerspiegel drehte sich Jochen zu mir, etwas steif in seiner frisch gereinigten, scharf gebügelten, schneeweißen Dinner-Uniform, und nahm nicht die geringste Notiz von meinem neuesten Fund.
»Hast du mit Antonov gesprochen?«, fragte er stattdessen spitz.
Ich schloss für einen Moment die Augen. Kam es mir nur so vor, oder hatten sich alle hier
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