Equinox
des A-Decks mit dem anderen schelmisch zu.
Manchmal, wenn ich in eine Rolle schlüpfe, erkenne ich mich selbst nicht wieder.
»Man hat mich zwar nicht darüber informiert«, wandte sie mit ihrer Stelzvogel-Stimme ein, »aber das scheint mir angesichts der heutigen Aufgaben entschuldbar. Den Gang hinunter, dann rechts und Sie laufen direkt darauf zu«, wies sie mich an.
»Aah, merci«, schleimte ich und musste mir praktisch auf die Zunge beißen, um nicht noch »cherie« hinterherzuschicken.
Manchmal möchte ich mich dann auch gar nicht kennen.
Obwohl es mich amüsiert. In eine fremde Rolle zu schlüpfen ähnelt bei mir oft einem Anfall von akuter Schizophrenie: Der eine Teil von mir kann sich kolossal danebenbenehmen, ohne dass der andere Teil sich nachher mit der Verantwortung und den peinlichen Erinnerungen rumplagen müsste.
Ich marschierte schnurstracks und mit gesenktem Kopf durch den Kamerabereich und verlangsamte dann den Schritt. Als ich unseren geschätzten Kapitän mit Ankje, der Honigblonden, an einem Tisch sitzen sah, war es mal wieder so weit, bei mir. Leise wie eine Katze pirschte ich mich an das Paar heran.
»… da wäre immer noch der frei gewordene Posten des Chefstewards zu besetzen«, murmelte Zouteboom vielsagend. Seine rosa Schweinebacken zitterten vor Sexgier und seine Glupschaugen lutschten die Honigblonde geradezu ab, und als er dann nach kurzein Zuprosten ein Glas Rotwein zum Mund rührte, gingen die Pferde mit mir durch.
»Ah, mon capitaine«, begrüßte ich ihn überschwänglich und gab ihm einen Klaps auf die Schulter, der ihm den Roten bis hoch an den Scheitel und von da aus abwärts bis auf die Hose schickte, »tout est bien?«
Zouteboom prustete und hustete und wusste nicht, wo anfangen mit Wischen.
»Oh, oh, quel malheur«, beeilte ich mich hinterherzuschicken und schlug ihm dröhnend aufs Kreuz, »quelle catastrophe!« Ich schnippte mit dem Finger und zwei Kellner kamen mit feuchten Tüchern und pfundweise Salz herbeigeeilt, doch wehrte sich Zouteboom heftig dagegen, in aller Öffentlichkeit seinen Hosenschlitz abgenibbelt zu bekommen, und so nahmen sie ihn schließlich - Schädel leuchtend, wie wenn auf Capri die rote Sonne … etc. - mit in die Küche.
Die Babyblauen strahlten mich an, als ich Zoutebooms Platz einnahm und auch sein Glas wieder füllte. Ankje hatte mich, anders als der Käptn, sofort erkannt.
»Lebensmüde?«, fragte sie, und ich zog mir den Wein rein und nickte dann.
»Und außerdem suche ich Elena«, sagte ich und goss noch mal nach. Kalifornischer Zinfandel. Schmeckt nicht schlecht, ist aber sehr körperreich und macht deshalb, hab ich gehört, grausame Flecken. »Kannst du mir da helfen?«
»Warum fragst du nicht… Carla?«, meinte Ankje mit Bitternis und kalter Wut, und ich erinnerte mich, dass sie den weiblichen Croupier für die Wurzel allen Übels an Bord hielt.
»Okay«, sagte ich, stand auf und verabschiedete mich mit einem Zwinkern und einem gehauchten Kuss, fiel augenblicklich zurück in meine Rolle.
Elena und Carla hatten beim Karaoke dicht zusammengesessen, und Carla hatte sich auf eine, wie mir hatte scheinen wollen, bezaubernde Art um die kleine Kassiererin bemüht. Das fand ich Vorwand genug, sie in die Suche nach Elena mit einzubeziehen. Gleichzeitig bot sich mir dadurch natürlich eine perfekte Gelegenheit, Jochen bei seinem Date auf die Zehen zu treten und, mal schauen, eventuell Carla in die Mangel zu nehmen, was das denn sollte, erst mich und dann Jochen einzuladen. Ja, dachte ich, während ich durch das gedämpfte Kerzenlicht von Tisch zu Tisch schlenderte, mich - ganz der wohlwollende Küchenmeister - mal hier, mal da nach dem Befinden erkundigend, ja, dachte ich, vielleicht wird es Zeit, dem selbstgefälligen Törtchen mal deutlich zu zeigen, dass Kryszinski sich nicht alles gefallen lässt.
»Nanu«, balzte der Stelzvogel, als ich um die Ecke gestürmt kam, mir die Kochmütze vom Schädel zerrte und sie in den nächsten Papierkorb stopfte, »schon fertig?«
»Ja«, blaffte ich sie mit meiner ganz normalen Stimme an, rupfte mir den blöden Schnäuzer ab und schmiss ihn ihr vor die Füße, »und zwar ein für alle Mal!«
Keine Fragen über Elena, kein Zehentreten bei Jochen, keine theatralische Szene. Und warum nicht? Sie war’s nicht wert, diese verlogene Schlampe, darum.
Ich stieg in den nächsten Aufzug und gab dem Knopf »3« eins mit dem Mittelfinger, dass er anschließend nicht wieder rausgeploppt
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