Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
Hand seinen Rücken. Von seinem Rückgrat über das rechte Schulterblatt läuft eine Linie kleiner, dunkelbrauner Muttermale. Wie ein Meteoritenschwarm. Ich folge der Linie mit den Fingern, sie sind ganz flach, wie mit einem feinspitzigen Filzstift aufgemalt. Meine Handflächen setzen ihre Reise über den Schwung der Schulter fort und weiter abwärts zum Kreuz hinunter. Adrian ist durchtrainiert und alles andere als zart, trotzdem strahlen sein Nacken, der Rücken und die Pobacken etwas Jungenhaftes aus, als er so in meinem Bett liegt.
Etwas Ungeschütztes.
»Was sollen wir tun?«, sagt er plötzlich in mein Kissen.
Dann dreht er den Kopf zur Seite und sieht mich an. Seine Haare stehen ab und sein Blick ist intensiv. »Was zum Teufel sollen wir tun, Emma?«
»Ich … weiß nur, was wir nicht tun sollen. Das hier.«
»Wie kann es sein, dass sich etwas so absolut richtig anfühlt und zugleich so katastrophal falsch ist? Warum überlegen wir uns nicht einfach, wie es wäre, einen anderen Weg einzuschlagen? Wie es wäre, wenn aus dir und mir tatsächlich was werden würde?«
»Das ist unmöglich. Das ist, als würde der Verrat konserviert, um uns für den Rest unseres Lebens daran zu erinnern. Und nicht nur uns selbst, sondern auch alle anderen. Jetzt haben wir noch die Chance, das Ganze zu beenden, ohne jemanden zu verletzen, weiterzumachen und so zu tun, als wäre es nie passiert.«
»Und was ist mit uns, mit dir und mir?«
»Wir werden uns schon davon erholen. Hoffe ich.«
»Das wird verdammt schwer sein. Ich hab noch nie solche Gefühle für jemanden gehabt. Das klingt pathetisch, aber so ist es! Ich habe noch nie solche Gefühle gehabt!«
Er lächelt verlegen. Und ich bin wieder verdutzt. Noch nie hat ein Junge solche Dinge zu mir gesagt. Und dann ausgerechnet Adrian ! Das ist einfach zu viel.
Er legt eine Hand um meinen Nacken und küsst mich. Ich fühle augenblicklich den Stromstoß im Körper, die Saite, die angeschlagen wird, das dumpfe Vibrieren, das mich an den Genuss von eben erinnert und dass dort noch mehr zu holen ist, dass das Feuer noch nicht verloschen ist und ganz schnell angefacht werden kann.
In dem Augenblick klingelt Adrians Handy. Der Ton saugt alle Luft aus dem Raum. Wir sehen uns eine Sekunde an, ehe Adrian nach seiner Jeans greift und das Handy aus der Tasche zieht. Er sieht mich noch einmal an, und ich sehe an seinen Augen, dass es Ellinor ist.
Sein Daumen zögert eine Sekunde über der Annahmetaste, dann legt er das Handy auf den Nachtschrank.
»Ich kann nicht«, sagt er. »Sie würde sofort hören, dass was nicht stimmt …«
Er steigt aus dem Bett und fängt an, sich anzuziehen. Ich sitze auf dem Bett und sehe zu, wie die Realität Einzug hält in meine Wohnung, wie sie ihre grellen Scheinwerfer auf uns richtet und uns ungeschminkt zeigt.
Adrian zieht sich das anthrazitfarbene T-Shirt über den Kopf.
»Ich muss los.«
»Ich weiß.«
»Alles klar?«
»Nein. Selber?«
Er schüttelt den Kopf. »Wir können so nicht weitermachen.«
»Ich weiß.«
Das Telefon klingelt wieder. Adrian nimmt es in die Hand, zieht seine Street Schuhe an und verschwindet ins Treppenhaus. Ich höre ihn mit schnellen Schritten nach unten laufen, das Öffnen und Zuschlagen der Haustür. Ich ziehe meinen Slip und die Tunika an und setze mich aufs Bett, die Arme um meinen Körper geschlungen, als wollte ich so verhindern auseinanderzubrechen. Ich sitze lange so da, aber ich weine nicht.
Gegen zwölf Uhr beschließe ich, dass ich rausmuss, wenn ich nicht verrückt werden will. Ich nehme die Kamera und gehe in die Stadt, versuche, mich auf die Bilder um mich herum zu konzentrieren, meine Umgebung und die Menschen als Motive zu betrachten, Kompositionen, Linien und Formen, Licht und Schatten. Ich erkunde die Gesichtszüge der Leute. Alte, Junge, Mittelalterliche, Paare mit Kindern, Männer mit lichtem Haar und Frauen, die den abhandengekommenen jugendlichen Teint gegen teure Kleider, elegante Armbanduhren und Designerschmuck eingetauscht haben. Wie viele von ihnen tragen ein abgrundtiefes Geheimnis mit sich herum? Da, der Mann mit dem karierten Käppi, der gelangweilt mit einer Tüte in der Hand dasteht, während seine Frau sich mit einer anderen Frau in ihrem Alter unterhält. Hat er seine Frau jemals betrogen? Mit ihrer besten Freundin geschlafen, während sie bei der Arbeit war? Wie sieht so ein Geheimnis aus, nachdem man es vierzig, fünfzig Jahre mit sich herumgeschleppt hat? Hat es sich
Weitere Kostenlose Bücher