Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
sie nicht doch anrufen? Das hier ist eine Nummer zu groß für einen allein, zumindest für eine gewöhnliche Café-Bedienung mit einem ganz gewöhnlichen Leben, die noch nie ohne eine Mattscheibe dazwischen in die Nähe irgendwelcher Krimineller gekommen ist.
In dem Augenblick, als ich mich entschieden habe, das Weite zu suchen, geht die Haustür auf und Mama kommt heraus. Ich starre sie verdutzt an. In meiner Fantasie war sie bereits verstümmelt und reif für eine posttraumatische Schocktherapie, und nun steht sie da auf dem Bürgersteig, sieht sich um und entdeckt mich, ehe ich mich wieder richtig gesammelt habe.
»Ach, hallo, mein Schatz! Da bist du ja! Was ist los? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen!« Sie lacht. »Wahrscheinlich, weil ich dich so selten besuche, aber …«
Ich umarme sie erleichtert.
»Nichts ist«, murmele ich. »Ich habe nur einen etwas anstrengenden Tag hinter mir.«
Wir lassen uns los und sie strahlt. Dass sie einfach wie immer ist, kommt mir so absurd vor nach den Schreckensvisionen, die sich gerade in meinem Kopf abgespielt haben.
»Wo ist Edwin?«, fragt sie.
Mir wird eiskalt. Ist er nicht in der Wohnung? Er sollte doch um nichts in der Welt vor die Tür gehen!
»Ich … weiß es nicht«, stammele ich. »Ich war arbeiten.«
»Ich denke, er hat sich den Fuß verstaucht? Wenn es ihm so gut geht, dass er in der Stadt rumlaufen kann, dann kann er auch nach Hause kommen. Ich habe das eine oder andere mit dem Burschen zu besprechen!«
Ich nicke nervös. »Das kann ich verstehen. Na ja, er wird wohl erwachsen. Braucht bald ein eigenes Leben…«
Mama schnauft. »Ein eigenes Leben? Dann soll er erst mal beweisen, dass er reif dafür ist! Er hat noch ein Jahr auf dem Gymnasium vor sich und eine Reihe Noten, die noch nach oben korrigiert werden müssen, wenn was aus ihm werden soll. Wie auch immer. Bist du auf dem Weg nach oben? Ich hätte noch einen Augenblick Zeit, um mir mal anzuschauen, wie du dich in deiner Wohnung eingerichtet hast.«
Ich werfe einen hastigen Blick zu dem anderen Hauseingang. Der Mann im Anzug ist nicht mehr da. Ich sehe ihn auch nirgendwo sonst auf der Straße. Wo ist er abgeblieben? Ich drehe den Kopf und begegne Mamas klarblauem Blick. Mir fällt absolut kein triftiger Grund ein, wieso ich sie nicht in meine Wohnung einladen sollte.
Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, als wir in die vierte Etage hochgehen. Meine Gedanken überschlagen sich. Ist er doch da drinnen, ist jemand bei ihm, oder ist er allein und wollte die Tür nicht aufmachen, als er gesehen hat, wer davorsteht? Ich muss ihn irgendwie warnen.
»Ich finde, die Wohnung ist richtig schön geworden!«, sage ich so laut, dass es durchs ganze Treppenhaus schallt. »Wirklich. Ich bin absolut zufrieden. Nett, dass du mich mal besuchen kommst, Mama!«
Sie sieht mich kritisch an, als ich laut mit meinen Schlüsseln klirre.
»Ist doch ein Grund, endlich mal vorbeizukommen, wenn schon meine beiden Kinder hier sind«, sagt sie abwartend.
»Super«, sage ich. »Echt!«
Irgendwann muss ich den Schlüssel ins Schloss stecken und die Tür öffnen. Ich plappere weiter und stelle mich ihr in den Weg, als ich meine Schuhe ausziehe, damit sie nicht direkt ins Zimmer spazieren kann. Aber sie schiebt sich an mir vorbei und sieht sich um.
»Schön hast du’s dir gemacht, Emma!« Und im nächsten Augenblick: »Aber da ist er ja!«
Ich mache ein paar Schritte in den Raum. Edwin liegt auf meinem Sofa. Er hat sich mit einer Decke zugedeckt, seine Haare sind zerzaust und er scheint tief und fest zu schlafen.
»Weck ihn lieber nicht«, versuche ich es. »Er hat heute Nacht so schlecht geschlafen und …«
»Ach was, er kann ja nachher weiterschlafen«, sagt Mama.
Sie geht zum Sofa und rüttelt Edwin an der Schulter.
»Guten Morgen, mein Kleiner!«
Edwin gähnt und blinzelt Mama an, und spätestens jetzt bin ich davon überzeugt, dass er nicht wirklich geschlafen hat.
»O hallo, Mama. Du hier?«, sagt er und klingt freudig überrascht.
Er setzt sich auf und ich humpele demonstrativ hinter Mamas Rücken hin und her, damit er nicht vergisst, dass er den Fuß verstaucht hat. Edwin bekommt meine kleine Scharade mit und breitet die Decke über seine Beine. Mama setzt sich neben ihn. »Wie geht es dir? Darf ich mal den Fuß sehen?«
Edwin verzieht das Gesicht. »Geht schon viel besser.«
»Die Schwellung war heute Morgen fast weg«, gebe ich meinen Senf dazu.
»Lass sehen!«, beharrt
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