Er ist der Freund meiner Freundin: Roman (German Edition)
Geldscheine aus der Tasche ziehe.«
Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich in dem luxuriösen Nachtclub lässig auf die Mafiatypen zuschlendere und beim Small Talk Koks und Geld überreiche. Das geht nicht. Ganz und gar nicht.
»Ich habe noch nie einen Fuß ins Styx gesetzt«, sage ich. »Allein die Tatsache, dass ich plötzlich dort aufkreuze, macht mich verdächtig.«
»Quatsch«, sagt Markus. »Du brezelst dich einfach ein bisschen auf und tust so, als hättest du Geburtstag, den wir dort feiern wollen.«
Es ist doch noch nicht ganz überstanden. Noch ein Schritt vom Aufatmen entfernt.
Ich, Emma Sandahl, soll als Kurier in der Kokainbranche agieren.
Im Laufe weniger Wochen habe ich mich als ganz neuer Mensch entpuppt. Ich schlafe mit dem Freund meiner besten Freundin, schnüffele in den Klamotten meines Bruders herum und mache Botengänge im Drogenmilieu. Sieht man mir das von außen an, oder sehe ich immer noch aus wie die Emma, die ich zu sein glaubte?
»Aha«, sage ich. »Okay. Am Freitag?«
Markus nickt.
»Wenn Hulth keinen eigenen Terminvorschlag macht. Ich werde ihn anrufen. Edwin?«
Edwin schaut verwirrt hoch. Er ist blass. »Ja?«
Markus, der mit dem Handy in der Hand dasteht, seufzt.
»Die Telefonnummer, Edwin. Ohne Nummer kann ich ihn nicht anrufen.«
»Ach ja, genau, warte …«
Edwin holt sein Handy und schaltet es zum ersten Mal ein, seit er bei mir ist. Er geht in seine Liste und diktiert Markus dann eine Reihe Zahlen. Edwin und ich sitzen stumm da und hängen an Markus’ Lippen, der mit dem Handy am Ohr wartet. Mir kommt plötzlich in den Sinn, wie selbstverständlich das alles für ihn zu sein scheint, als wäre das sein kleiner Bruder, sein Leben. Ohne eine Sekunde zu zögern, steht er da, mitten in meiner Wohnung, und ruft einen offenbar ziemlich gefährlichen Typen an von seinem eigenen Handy, um eine Verabredung zu arrangieren, die Edwin aus der Klemme helfen soll.
Ich scanne seine Gestalt, den schlaksigen Körper, heute in ein langes, glänzendes, blaugrünes Hemd und eine helltürkise Schlaghose mit schimmernden Biesen gekleidet, das grüne Glitzertuch, das er sich vor ein paar Wochen gekauft hat, um den Kopf geschlungen. Bestimmt fühlt sich der eine oder andere durch sein Äußeres provoziert. Weil er rumläuft, wie es ihm gefällt, und sich in keine Schublade stecken lässt. Bestimmt halten viele ihn für schwul und schwächlich. Ein Weichei. Ich betrachte sein Gesicht, die gerade Nase, die schmalen Lippen und die tiefblauen Augen, in denen es ständig arbeitet, eine Idee, ein Gedanke, ein Entschluss. Oder dieses warme Leuchten, den sie bekommen, wenn er lacht.
Schwächlich ist nun wirklich das Letzte, was Markus ist. Er ist viel, mein bester Freund auf der Welt, aber absolut nicht schwach.
»Hallo«, sagt er plötzlich. »Ein Bekannter, der Edwin heißt, hat ein paar Sachen, die Ihnen gehören, und ich habe zugesagt, sie in nächster Zeit abzuliefern. Sind Sie Freitag im Club oder kann ich Sie irgendwo anders erreichen?«
Es ist still, als Markus die Antwort abwartet. So still, dass ich mein Herz schlagen höre. Ich nehme einen stechenden Schmerz in den Handflächen wahr, weil ich unbewusst meine Fingernägel in die Handballen gebohrt habe.
»Ja«, sagt Markus. »Natürlich. Gut, bis dann.« Er drückt das Gespräch weg, steckt das Handy ein und sieht uns an.
»Was glotzt ihr so?«, sagt er grinsend. »Das wäre geregelt.«
Edwin schluchzt auf und fängt hemmungslos an zu heulen. Ich gehe zu ihm und nehme ihn fest in den Arm. Er klammert sich an mir fest. Sein Haar streicht weich über meine Wange und sein Körper wird von Schluchzern geschüttelt. Mein kleiner Bruder. Ich muss auch fast heulen.
Während wir so dastehen, kommt mir eine Erinnerung. Als ich neun Jahre alt war, hatte Edwin aus Versehen eine Kette von mir zerrissen, die ich im Freizeithort gebastelt hatte. Sie bestand aus mehreren Schnüren mit jeder Menge winziger, bunter Perlen. Ich war so wütend, dass ich mir seine komplette Sammlung an Pokémonkarten geschnappt und sie ins Klo geschmissen habe. Ich dachte, Edwin würde ausrasten, aber er weinte einfach nur bitterlich und hörte gar nicht mehr auf, worauf ich ein schlechtes Gewissen bekam und die Karten abspülte und zum Trocknen zwischen die Seiten des Telefonbuches legte. Das ging ganz gut, aber die von der Feuchtigkeit aufgeweichten Seiten des Telefonbuchs hinterließen ihre Schrift auf den Pokémonkarten, die nun von dichten Reihen mit allen
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