Er ist wieder da
Räume, in denen mehrere Personen unter hellen Leuchtstoffröhren an TV -Schirmen arbeiteten. Es sah alles in allem aus, als hätten erst fünf Minuten zuvor die letzten Arbeiterinnen der Munitionsfertigung die Räume verlassen. Unablässig läuteten Telefone – plötzlich wurde mir klar, weshalb das Volk gezwungen war, ein Vermögen für Klingeltöne auszugeben. Damit man in diesem Zwangslager wenigstens wusste, wann das eigene Telefon klingelt.
»Ich nehme an, das hier ist alles wegen der Russen«, vermutete ich.
»Wenn Sie so wollen, schon«, sagte die junge Dame lächelnd. »Aber Sie haben ja sicher gelesen, dass die dann leider doch nicht eingestiegen sind. Jetzt haben wir amerikanisch-iranische Heuschrecken.«
Ich seufzte auf. Derlei hatte ich ja immer befürchtet. Kein Lebensraum, kein Boden, der das Volk mit Brot ernährte, und dann hieß es natürlich: Heuschrecken essen wie der letzte Neger. Ich sah bewegt auf das junge Ding, das unverdrossen stramm neben mir herschritt. Ich räusperte mich, aber ich fürchte doch, dass man ein wenig meine Rührung hörte, als ich ihr sagte:
»Sie sind sehr tapfer.«
»Aber sicher«, strahlte sie, »ich will ja nicht ewig Assistentin bleiben.«
Natürlich. Eine »Assistentin«. Hilfsdienste sollte sie leisten für den Russen. Wie dies sich in dieser neuen Welt zusammenfand, konnte ich mir auf Anhieb nicht erklären, doch sah das diesem Ungeziefer der Menschheit ähnlich. Ich mochte mir gar nicht ausmalen, worin diese »Tätigkeiten« unter dem bolschewikischen Joch bestehen mochten. Ich blieb abrupt stehen und fasste sie am Arm.
»Sehen Sie mich an!«, sagte ich, und als sie sich mir etwas überrascht zuwandte, blickte ich ihr fest in die Augen und sagte feierlich:
»Ich verspreche Ihnen hiermit: Sie werden die Zukunft bekommen, die Ihrer Herkunft entspricht! Ich werde mich persönlich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass Sie und jede deutsche Frau nicht mehr lange diesen Untermenschen dienen werden! Sie haben mein Wort darauf, Fräulein …«
»… Özlem«, sagte sie.
Ich erinnere mich dieses Moments noch jetzt als leidlich unangenehm. Für den Bruchteil einer Sekunde suchte mein Gehirn nach Erklärungen, wie ein deutsches ehrliches Mädel zu dem Namen Özlem kommen konnte, fand aber keine, natürlich. Ich nahm die Hand von ihrem Arm und drehte mich abrupt zum Weitergehen. Ich hätte diese falsche Person am liebsten einfach dort stehen gelassen, so getäuscht, so betrogen fühlte ich mich. Leider wusste ich den Weg nicht. Also folgte ich ihr schweigend, beschloss aber, mich in dieser neuen Zeit noch mehr vorzusehen. Diese Türken waren nicht nur in der Reinigungsindustrie, sondern auch sonst überall wundersam allgegenwärtig.
Als wir den Konferenzraum betraten, stand Sensenbrink auf, ging auf mich zu, geleitete mich sozusagen in den Raum, in dem eine Gruppe um einen relativ langen, aus kleineren Teilen zusammengesetzten Tisch saß. Ich erkannte auch den Hotelreservierer Sawatzki wieder, außer ihm etwa ein halbes Dutzend jüngere Männer in Anzügen und eine Frau, die wohl jene »Bellini« sein musste. Sie mochte etwa vierzig Jahre alt sein, sie hatte dunkle Haare, kam vermutlich aus Südtirol, und schon beim Betreten des Raumes spürte ich: Diese Frau war mehr Manns als sämtliche anderen anwesenden Dümmlinge zusammengenommen. Sensenbrink versuchte, mich am Arme an das andere Ende des Tisches zu dirigieren, wo man, wie ich aus dem Augenwinkel sah, eine Art Bühne oder Podest improvisiert hatte. Ich ließ ihn durch eine leichte Drehung ins Leere schieben und ging mit festem Schritt auf die Dame zu, nahm die Schirmmütze ab und klemmte sie unter den Arm.
»Das ist … Frau Bellini«, sagte Sensenbrink reichlich überflüssig, »Executive Vice President von Flashlight. Frau Bellini – unsere hoffnungsvolle Neuentdeckung, Herr … äh …«
»Hitler«, beendete ich das unwürdige Gestammel, »Adolf Hitler, Reichskanzler des Großdeutschen Reiches a.D.« Sie reichte mir die Hand, die ich mit einer nicht zu tiefen Verbeugung zum angedeuteten Kusse führte. Dann richtete ich mich wieder auf.
»Gnädige Frau, es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam Deutschland verändern!«
Sie lächelte, wie mir schien, etwas verunsichert, aber meine gewisse Wirkung auf Frauen kannte ich ja noch von früher. Es ist praktisch unmöglich für eine Frau, nicht etwas zu fühlen, wenn sich der Befehlshaber der gewaltigsten Armee der
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