Er ist wieder da
Mitgliedsbeiträge zu zahlen oder auch einmal mit dem Stuhlbein in der Hand den Saalschutz zu übernehmen. Insbesondere der Kioskbesitzer schien mir im Grunde sogar liberal oder auch linksorientiert, wenn auch mit einem ehrlichen deutschen Herz versehen. Insofern widmete ich mich auch weiterhin diszipliniert meinem eisernen Tagesplan. Ich stand gegen elf Uhr vormittags auf, ließ mir vom Hotelpersonal ein oder zwei Stücke Kuchen kommen und arbeitete unermüdlich bis tief in die Nacht.
Das heißt, ich wäre um elf Uhr aufgestanden, wenn nicht schon im Morgengrauen etwa gegen neun Uhr das Telefon geläutet hätte und eine Dame mit unaussprechlichem slawischstämmigem Namen am Apparat gewesen wäre. Jodl hätte derlei nie durchgestellt, aber Jodl war leider offenbar Teil der deutschen Geschichte. Ich suchte noch schlafvernebelt nach dem Hörer des Apparates.
»Hrmf?«
»Guten Tag, hier ist Krwtsczyk«, jubelte eine Stimme von unbarmherziger Fröhlichkeit. »Von der Flashlight!«
Am meisten ärgert mich an diesen Morgenmenschen diese entsetzliche gute Laune, als wären sie bereits drei Stunden wach und hätten da schon Frankreich überrannt. Zumal die weitaus meisten trotz ihrer widerlichen Frühaufsteherei alles andere vollbracht haben als Großtaten. Gerade in Berlin sind mir sogar immer wieder Menschen begegnet, die gar kein Geheimnis daraus machten, dass sie nur deshalb in aller Herrgottsfrühe aufgestanden waren, um noch früher das Büro wieder verlassen zu können. Ich habe mehreren dieser Achtstundenlogiker schon empfohlen, sie sollten gleich abends gegen zehn Uhr das Arbeiten beginnen, dann könnten sie sogar schon morgens um sechs wieder nach Hause und kämen dort vielleicht noch vor dem Aufstehen an. Manche haben das gar für einen ernsthaften Vorschlag gehalten. Ich für meinen Teil bin jedenfalls der Ansicht, dass morgens früh nur die Bäcker zu arbeiten haben.
Und die Gestapo natürlich, das versteht sich von selbst. Um bolschewistisches Gesindel aus den Federn zu reißen, jedenfalls, wenn es sich nicht um bolschewistische Bäcker handelt. Die sind dann natürlich schon wach, da muss dann auch die Gestapo ihrerseits noch früher aufstehen und so weiter und so fort.
»Sie wünschen?«, fragte ich.
»Ich rufe aus der Vertragsabteilung an«, freute sich die Stimme. »Ich mache grade die Unterlagen fertig, und da hätte ich noch einige Fragen. Ich weiß jetzt nicht, sollen wir das am Telefon …? Oder möchten Sie lieber reinkommen?«
»Was für Fragen?«
»Na ja, ganz allgemeine Fragen. Sozialversicherung, Bankverbindung, solche Sachen. Ich meine, zum Beispiel als Erstes, auf welchen Namen ich die Papiere ausstellen soll.«
»Welchen Namen?«
»Ich meine, ich weiß doch gar nicht, wie Sie heißen.«
»Hitler«, ächzte ich, »Adolf.«
»Ja«, lachte sie wieder mit ihrer grauenerregenden Morgenbegeisterung, »nein, ich meinte Ihren richtigen Namen!«
»Hitler! Adolf!«, sagte ich jetzt schon etwas ungehalten.
Eine kurze Weile war Stille.
»Wirklich?«
»Ja, natürlich!«
»Na, das ist ja … also – das ist ja dann ein Zufall …«
»Wieso Zufall?«
»Na ja, also, dass Sie so heißen…«
»Zum Donnerwetter, Sie heißen doch auch irgendwie! Und ich sitze hier auch nicht und reiße die Augen auf und sage ›Oooh, was für ein Zufall!‹«
»Schon – aber Sie sehen ja auch so aus. Also, so wie Sie heißen.«
»Ja und? Sie sehen wohl ganz anders aus, als Sie heißen?«
»Nein, aber …«
»Na also! Machen Sie in Gottes Namen diese verdammten Papiere fertig.« Damit knallte ich den Hörer auf den Apparat.
Es dauerte sieben Minuten, bis das Telefon wieder läutete.
»Was ist denn noch?«
»Ja, hier ist noch mal Frau«, und dann folgte wieder dieser seltsam östliche Name, der so klang, wie wenn man einen Wehrmachtsbericht zerknüllt. »Ich … ich fürchte, das geht so nicht …«
» Was geht so nicht?«
»Sehen Sie, ich will ja nicht unfreundlich sein, aber … das geht doch bei der Rechtsabteilung niemals durch, ich kann doch – also, wenn die den Vertrag sehen und da steht drin ›Adolf Hitler‹ …«
»Ja, was wollen Sie denn sonst reinschreiben?«
»Also, entschuldigen Sie, wenn ich das jetzt noch mal frage, aber: Heißen Sie wirklich so?«
»Nein«, sagte ich gequält, »ich heiße natürlich nicht wirklich so. Wirklich heiße ich Schmul Rosenzweig.«
»Wusste ich’s doch«, sagte sie hörbar erleichtert, »wie schreibt man das – Schmul? Mit
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