Er ist wieder da
›h‹?«
»Das war ein Scherz!«, schrie ich in den Hörer.
»Ach so. Oje! Schade.«
Ich hörte, wie sie etwas mehrfach durchstrich. Dann sagte sie: »Ich – bitte, ich fürchte, es ist besser, wenn Sie vielleicht doch kurz vorbeischauen? Ich brauche irgendetwas wie einen Pass von Ihnen. Und Ihre Bankverbindung.«
»Fragen Sie Bormann«, sagte ich recht abrupt ins Telefon und legte auf. Dann setzte ich mich hin. Das war in der Tat ärgerlich. Und schwierig. Bedauernd, ja beinahe betrübt schweiften meine Gedanken zurück zum getreuen Bormann. Bormann, der mir stets die abendlichen Spielfilme bestellte, sodass ich nach einem Tage angestrengter Kriegsführung auch ein wenig entspannen konnte. Bormann, der die Sache mit den Anwohnern am Obersalzberg so reibungslos geregelt hatte. Bormann, der sich praktischerweise auch um meine Einnahmen aus dem Buchverkauf gekümmert hatte, Bormann, der Treueste der Treuen. Bei ihm hatte ich vieles, ja das weitaus meiste in den besten Händen gewusst. Bormann, das konnte man als Gewissheit betrachten, hätte auch derlei Verträge reibungslos erledigt. »Letzte Mahnung, Frau Knistergeräusch. Sie erstellen jetzt diese Vertragsunterlagen freiwillig, oder Sie und Ihre gesamte Familie finden sich in Dachau wieder. Und Sie wissen ja, wie viele Leute da zurückkommen.« Das wurde schon damals unterschätzt, dieses Einfühlungsvermögen Bormanns, wie der Mann mit Menschen umgehen konnte. Der hätte mir ruckzuck eine Wohnung besorgt, untadelige persönliche Unterlagen, Bankkonten, alles. Oder, bei genauerer Betrachtung war wohl eher die Vermutung angebracht, er hätte dafür gesorgt, dass niemand ein zweites Mal nach solcherlei bürokratischem Firlefanz fragt. Aber gut, es musste jetzt ohne ihn gehen. Und irgendwie musste die Sache doch auch von der Aktenlage her unter Dach und Fach gebracht werden. Wie ich das in dreißig Jahren handhaben würde, blieb dahingestellt, aber vorerst musste ich wohl oder übel den derzeitigen Gepflogenheiten folgen. Ich kam ins Grübeln.
Ich würde mich wohl bei einem Einwohner-Amte melden müssen. Allerdings hatte ich weder Wohnort noch Herkunftsnachweis. Die Solidität meiner Existenz beruhte im Wesentlichen auf meinem Wohnort im Hotel und meiner Anerkennung durch die Produktionsfirma, doch auf dem Papiere hatte ich nichts vorzuweisen. Grimmig ballte ich die Faust und hob sie zur Zimmerdecke. Das Papier, die deutsche bürgerliche Beamtenbürokratie mit ihren kleingeistigen engherzigen Regelungen, wieder einmal warf mir der ewige Klotz am Hals des deutschen Volkes seine spinnenfingrigen Knüppel zwischen die Beine. Schier ausweglos schien meine Lage, als das Telefon erneut läutete – und mich nur meine eiserne Entschlossenheit, die Geistesgegenwart und Entscheidungsfreude des einstigen Frontsoldaten zum Ziel brachte. Ich hob ab, sicher, eine Lösung zu finden, aber noch ungewiss, wie.
»Hier ist noch mal Frau Krwtsczyk von Flashlight.«
Und dann war es einfach.
»Wissen Sie was«, sagte ich, »verbinden Sie mich mit Sensenbrink.«
x.
E s ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass eine Führerpersönlichkeit alles wissen muss. Sie muss nicht alles wissen. Sie muss nicht einmal das meiste wissen, ja es kann sogar so weit gehen, dass sie überhaupt rein gar nichts wissen muss. Sie kann der Ahnungsloseste der Ahnungslosen sein. Jawohl, auch blind und taub nach einem tragischen Bombentreffer des Feindes. Mit einem Holzbein. Oder ganz ohne Arme und Beine, sodass beim Fahnenappell sogar der Deutsche Gruß völlig unmöglich ist und beim Absingen des Deutschlandliedes nur eine bittere Träne aus dem lichtlosen Auge rollt. Ich sage sogar: Eine Führerpersönlichkeit kann ohne Gedächtnis sein. Vollkommen amnesiert. Denn die besondere Begabung des Führers ist nicht das Auftürmen trockener Fakten – seine besondere Begabung ist die rasche Entscheidung und die Übernahme der Verantwortung dafür. Gerne wird das gering geachtet, dem alten Scherzwort gemäß von dem, der – sagen wir anlässlich eines Wohnungsumzugs – keine Kisten trägt, sondern »die Verantwortung«. Aber im idealen Staat sorgt der Führer dafür, dass jeder Mann am rechten Platze zur Wirkung kommt. Bormann war eben keine Führernatur, sondern ein Meister der Denk- und Erinnerungskunst. Er wusste alles. Hinter seinem Rücken nannten ihn manche »des Führers Aktenschrank«, ich war dann stets sehr gerührt, eine bessere Bestätigung meiner Politik hätte ich mir nicht wünschen
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