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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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machte. Es mochte daran liegen, dass nicht nur ein Herr Sawatzki oder die Dame Bellini dorthin strebten, sondern sich generell auf den Gängen eine unbestimmte Nervosität oder Spannung spüren ließ. Mitarbeiter standen in kleinen Gruppen in den Türrahmen, plauderten im Flüstertone und blickten mich heimlich, fragend oder verunsichert an. Ich beschloss, einen kleinen Umweg zu machen, und ging zur hauseigenen Cafeteria, um dort etwas Traubenzucker zu besorgen. Was immer in jenem Konferenzsaal vorging, ich beschloss, meine Position ein wenig herauszuarbeiten, indem ich die Herrschaften warten ließ.
    »Na, Sie ham Nerven«, sagte Frau Schmackes, die die Cafeteria betreute.
    »Ich weiß«, sagte ich freundlich, »deshalb war es auch nur mir möglich, ins Rheinland zu gehen.«
    »Übertreim Se mal nich, ick bin da ooch schon jewesen«, sagte Frau Schmackes, »aber ick kann diese Kölner ooch nich leiden. Wat darf et sein?«
    »Ein Päckchen von Ihrem Traubenzucker, bitte.«
    »Denn krieg ick 80 Cent von Ihnen«, sagte sie, bevor sie sich fast verschwörerisch vorbeugte: »Sie wissen, dat der Kärrner vorhin extra jekommen is? Der is schon da, der is schon im Konferenzsaal, hab ick jehört.«
    »Soso«, sagte ich und bezahlte, »und wer ist das?«
    »Na, ick sach mal so«, sagte Frau Schmackes, »det is der Chef vons Ganze. Det merkt man sonst nich so, weil die Bellini ja normalerweise den Laden schmeißt, und wenn Se mich fragen, die hat die Sache sowieso besser im Griff. Aber bei großen Katastrophen kommt der Kärrner selbst.« Sie schob mir 20 Cent Rückgeld über den Tisch. »Bei großen Erfolgsmeldungen natürlich ooch. Aber die müssen denn schon ziemlich jroß sein. Der Flashlight jeht’s ja nicht schlecht …«
    Ich wickelte sorgsam ein Stück Traubenzucker aus und schob es mir in den Mund.
    »Sollten Sie sich nicht langsam mal auf den Weg machen?«
    »Das haben im Winter 1941 auch alle gesagt«, winkte ich ab, schlenderte aber dann doch gemessenen Schrittes in die richtige Richtung. Es galt ja, auch den Eindruck zu vermeiden, dass diese Veranstaltung mir Angst bereitete und ich ihr deshalb fernblieb.
    Inzwischen hatten sich auf den Fluren die Gruppen noch vermehrt. Es war fast wie ein Spalier aus Mitarbeitern, an dem ich entlangschritt wie beim Abnehmen einer Parade. Ich lächelte freundlich einigen jungen Damen zu, klappte den rechten Arm hin und wieder grüßend zurück, hörte gelegentlich ein Kichern, aber auch ein »Sie machen das schon!«.
    Selbstverständlich. Es fragte sich nur, was.
    Die Tür zum Konferenzraume war noch geöffnet, Sawatzki stand im Türrahmen. Er sah mich schon von Weitem nahen und machte mit der Hand eine unmissverständliche Geste, ich möge mich beeilen. Es war ganz klar, dass er mich damit nicht tadelte – sein zuversichtliches Gesicht signalisierte mir vielmehr sofort, dass er dringend, furchtbar dringend wissen wollte, worum es ging. Ich reduzierte das Lauftempo nochmals ein wenig, wie nebenbei einer jungen Dame ein Kompliment für ein wirklich sehr hübsches Sommerkleid machend. Meine Geschwindigkeit erinnerte mich fast etwas an das Paradoxon von Achilles und der Schildkröte, die dieser nie einholen kann.
    »Guten Morgen, Herr Sawatzki«, sagte ich fest, »haben wir uns heute überhaupt schon gesehen?«
    »Rein mit Ihnen«, drängelte Sawatzki leise, »rein, rein, rein. Sonst sterb ich vor Neugier.«
    »Da ist er ja«, sagte drinnen Sensenbrink, »Endlich!«
    Im Raum saßen noch einige mehr Herren rund um den Konferenztisch. Mehr als beim ersten Mal, und direkt neben der Dame Bellini hatte jemand Platz genommen, bei dem es sich offenbar um jenen Kärrner handeln musste, eine leicht beleibte, aber ehemals sportliche Figur, die um die vierzig Jahre zählte.
    »Herrn Hitler kennen Sie natürlich alle«, sagte der noch immer kreidebleiche, aber wenigstens nicht mehr so verschwitzte Sensenbrink in die Runde, »umgekehrt ist das vermutlich trotz seiner nun schon etwas längeren Zusammenarbeit mit uns nicht immer so. Und da hier nun wirklich die – wenn ich das so sagen darf – Top-entscheider unseres Hauses am Tisch sitzen, möchte ich sie kurz vorstellen.«
    Daraufhin rapportierte Sensenbrink eine Reihe von Namen und Ämtern, eine bunte Abfolge von Seniors und Vice Account Managing Executives und was es dergleichen heute so gibt. Die Titel und Gesichter waren samt und sonders derart austauschbar, dass man sofort wusste, dass der einzige merkenswerte Name der des Kärrner

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