Er liebt mich, er liebt mich nicht - Gibson, R: Er liebt mich, er liebt mich nicht - Daisy's Back in Town
vergessen, doch sie durfte nicht länger in der Vergangenheit leben, sondern musste in der Gegenwart zu Hause sein und in die Zukunft blicken. Für Nathan und für sich selbst. Aber um das zu tun, musste sie erst ihre Vergangenheit in Ordnung bringen und durfte sich nicht länger davor verstecken.
Die ersten Strahlen der Morgensonne schlichen sich in den Garten, ließen den taufeuchten Rasen glitzern und warfen lange Schatten über die Windmühle und die Figuren. Daisy wünschte, sie hätte ihre Nikon mit Weitwinkelobjektiv dabei, doch sie lag oben in ihrem Zimmer, und wenn sie jetzt nach oben lief, würde sie den Sonnenaufgang und den richtigen Augenblick für das Foto verpassen. Binnen Sekunden fiel der Sonnenschein über Daisys Füße, Beine und ihr Gesicht. Sie schloss die Augen und genoss die Wärme.
Während ihrer Zeit im Nordwesten des Landes hatte Daisy ihren Akzent weitgehend abgelegt, doch die Liebe für die weiten Ebenen und den strahlend blauen Himmel hatte sie nie verloren. Sie schlug die Augen auf und wünschte sich, Steven könnte diesen Sonnenaufgang mit ihr zusammen genießen. Er wäre ebenso begeistert davon wie sie.
Daisy sah auf die Garten-Clogs aus Gummi an ihren Füßen hinunter. Sie wünschte sich so viel. Zum Beispiel mehr Zeit, bevor sie Jack wieder gegenübertreten musste. Sie hatte
keine Eile, den Zorn in seinen Augen erneut zu sehen. Ihr war klar gewesen, dass er sie nicht mit offenen Armen willkommen heißen würde, dennoch erstaunte es sie, dass er sie nach all diesen Jahren noch immer genauso hasste wie an dem Tag, als sie einander zum letzten Mal gesehen hatten.
Das nennst du gemein? , hatte er gesagt. Das ist noch gar nichts, Butterblümchen. Wenn du noch eine Weile hier bleibst, zeige ich dir gern, wie gemein ich werden kann.
Sie fragte sich, ob Jack bewusst gewesen war, dass er sie Butterblümchen genannt hatte – jener Name, mit dem er sie an ihrem ersten Tag an der Grundschule von Lovett angesprochen hatte.
Sie erinnerte sich noch, wie ängstlich und nervös sie damals gewesen war. Sie hatte Angst gehabt, dass niemand sie mögen würde und dass die große rote Schleife auf ihrem Kopf albern aussah. Ihre Mutter hatte sie vom Henkel eines mit Gutscheinen, einem Kochbuch und diversen Leckereien gefüllten Frühstückskorbs abgenommen. Daisy hatte die Schleife nicht tragen wollen, doch ihre Mutter bestand darauf, dass sie hübsch aussah und gut zu ihrem Kleid passte.
An diesem ersten Morgen hatte niemand mit ihr gesprochen. Gegen Mittag war sie so bekümmert gewesen, dass sie nicht einmal ihr Käsesandwich essen konnte. Während der großen Pause waren Jack und Steven auf sie zugekommen, als sie mit dem Rücken an den Maschendrahtzaun gelehnt dagestanden hatte.
»Wie heißt du?«, hatte Jack gefragt.
Sie hatte in seine großen grünen Augen mit den dichten Wimpern geblickt und gelächelt. Endlich redete jemand mit ihr, und ihr kleines Herz hatte vor Freude einen Satz gemacht. »Daisy Lee Brooks.«
Er hatte sie von oben bis unten gemustert. »Tja, Butterblümchen,
das ist wohl die blödeste Haarschleife, die ich je gesehen habe«, hatte er gesagt, ehe er und Steven in brüllendes Gelächter ausgebrochen waren.
Zu hören, dass ihre Schleife blöd war, hatte sie in ihren schlimmsten Ängsten bestätigt, und sie hatte gespürt, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Ja, und ihr seid so blöd, dass ihr zum Zählen die Schuhe ausziehen müsst«, hatte sie voller Stolz entgegnet, dass sie es geschafft hatte, sich zu wehren. Nur um gleich danach alles zu verderben, indem sie in Tränen ausgebrochen war.
Die Erinnerung an diesen Tag rang ihr ein trauriges Lächeln ab. Sie hatte sich geschworen, diese beiden Jungen bis an ihr Lebensende zu hassen. Und diesem Vorsatz war sie treu geblieben, bis Jack sie aufgefordert hatte, in seinem Softball-Team mitzuspielen, was etwa drei Wochen später war. Steven hatte ihr gezeigt, wie sie verhindern konnte, dass der Ball sie ins Gesicht traf.
Anfangs hatte Jack sie Butterblümchen genannt, um sie zu necken, später hatte er den Kosenamen geflüstert, wenn er knapp unter dem Ohr ihren Hals küsste. Dann war seine Stimme ganz dunkel geworden, und er hatte ganz andere Möglichkeiten erfunden, um sie zu necken. Es hatte mal eine Zeit gegeben, als allein die Erinnerung an seinen Kuss wohlig warme Schauer in ihr ausgelöst hatte, doch nun hatte sie seit Jahren keine warmen und prickelnden Gedanken mehr an ihn verschwendet.
Sie sah ihn vor
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