Er liebt mich, er liebt mich nicht - Gibson, R: Er liebt mich, er liebt mich nicht - Daisy's Back in Town
war nicht zu Hause, und sie wollte wach sein, wenn er zurückkam.
Sie ging die Treppe hinunter in die Küche und nahm eine Coke aus dem Kühlschrank. Nathan hatte ihr eine Nachricht geschrieben und sie mit einem kleinen Magneten in Texasform an der Kühlschranktür befestigt. Er sei draußen, um Skateboard zu fahren. Allerdings schrieb er nicht, wann er zurückkommen wollte. Dabei hatte sie ihn noch daran erinnern wollen, wenigstens ungefähr zu sagen, wann er wieder da war, damit sie sich keine Sorgen machen musste.
Aber sie waren hier in Lovett, rief sie sich ins Gedächtnis, deshalb war ihre Sorge unbegründet. Es gab nur wenige Orte hier, wo er in Schwierigkeiten geraten konnte, aber wenn sie aus der Tatsache, Mutter eines Sohnes zu sein, eines gelernt hatte, dann war es der Umstand, dass ein Junge notfalls auch nach Schwierigkeiten suchte, wenn sie nicht von allein auftauchten. Wenn irgendwo eine Pfütze war, musste ein Junge mitten hineinspringen. Lag irgendwo ein Stein herum, musste er ihn werfen. Und eine Dose Coke forderte ihn geradezu heraus, sie zu zertreten. Ein Vogel verlangte, dass er so tat, als würde er ihn abschießen. Ein Geländer an einer Treppe mit fünf oder mehr Stufen musste mit dem Skateboard bezwungen werden, was unweigerlich einen Sturz und eine Platzwunde nach sich zog, die genäht werden musste.
Gerade als Daisy die Dose aufriss, klingelte es an der Tür. Auf dem Weg durchs Wohnzimmer trank sie ein paar tiefe Züge, ehe sie die Dose auf dem Beistelltisch aus Holz neben einer Schüssel mit gläsernen Früchten abstellte. Sie öffnete die Haustür, in der Erwartung, Nathan vor sich zu sehen, der ihr einen dummen Streich spielte, indem er sie an die Tür lockte. Manchmal kam er auf solche Ideen. Wollte wie ein Erwachsener behandelt werden und verhielt sich trotzdem ständig noch wie ein kleiner Junge. Aber vor der Tür stand nicht ihr Sohn.
Sondern Jack. Der Schatten seines geflochtenen Cowboyhuts verbarg die obere Hälfte seines Gesichts. Ihr Herzschlag beschleunigte sich ein wenig, und ihre Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln. »Hey.«
»Bist du allein?«, fragte er, und ihr Lächeln erlosch beim Anblick seiner zusammengepressten Lippen und beim Klang seiner eisigen Stimme.
Er weiß es, war ihr erster Gedanke, doch sie verwarf ihn
sofort wieder. Er konnte es gar nicht wissen. »Pippen ist hier, aber er schläft.«
»Wo ist Nathan?«
Oh Gott. Ihr Herzschlag beschleunigte sich noch mehr. »Er ist draußen, Skateboard fahren.«
Er wartete nicht darauf, dass sie ihn ins Haus bat. »Nein, ist er nicht«, sagte er, schob sich an ihr vorbei und brachte den Duft eines warmen texanischen Morgens mit sich herein. Im Vorbeigehen reichte er ihr Nathans Skateboard.
Sie nahm es entgegen und drückte es an die Brust. Ein geripptes T-Shirt betonte Jacks Arm- und Brustmuskeln und ließ ihn noch größer und gefährlicher als gewöhnlich erscheinen. »Wo ist er?«
Er drehte sich um und sah sie ein paar nervenaufreibende Sekunden lang an, bevor er sagte: »Ich weiß es nicht.«
»Woher hast du das?«
»Er war heute Morgen bei mir.«
»Tatsächlich?« Dass Nathan die Werkstatt aufgesucht hatte, war kein Zufall. Es war eine Überraschung, aber nicht weiter erstaunlich. Nathan war der Typ, der erst handelte und dann überlegte. So wie Jack früher.
»Er hat das Skateboard vergessen.«
Daisy glaubte nicht, dass Nathan Jack erzählt hatte, dass er sein leiblicher Sohn war. Andererseits war ihr auch nie in den Sinn gekommen, dass er auf eigene Faust zur Werkstatt gehen könnte. »Was hat er gesagt?«
»Er hat über Steven und über ›Monster Garage‹ geredet.«
Vielleicht weiß er es doch nicht , sondern war aus einem ganz anderen Grund so übellaunig. Immerhin hatte sie es mit Jack zu tun, dem König aller Übelgelaunten. »Sonst nichts?«
»Ich glaube, er ist hauptsächlich gekommen, um mich mal genauer anzusehen.« Er schob sich den Strohhut in
den Nacken, und Daisy hatte Gelegenheit, ihn genauer anzusehen. Hätte ihr das zornige Funkeln in seinen Augen nicht jeden Zweifel an dem genommen, was er wusste oder vermutete, hätten seine Worte es getan. »Ich habe Stevens Brief gelesen.«
»Woher hast du Stevens Brief?«, fragte sie entsetzt.
»Du hast ihn am Samstag bei mir liegen lassen.«
Tatsächlich? Sie konnte sich nicht erinnern. Am Sonnabend war so viel passiert. »Und du hast ihn erst heute gelesen? «
»Eigentlich hatte ich ihn überhaupt nicht lesen wollen.«
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